Tanz:Im Urschlamm

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Aus der Zeit gefallen: Martin Schläpfers Ballett "Roses of Shadow". (Foto: Gert Weigelt)

Das Ballett "Roses of Shadow" feiert in Düsseldorf Premiere. Die Choreographie (Martin Schläpfer) und die Musik (Adriana Hölszky) sind neu, doch das Stück wirkt alt.

Von Eva-Elisabeth Fischer

Martin Schläpfer setzt für die Uraufführung des Abends den perfekten Rahmen. Eingebettet zwischen George Balanchines "Strawinsky Violin Concerto" aus dem Jahr 1972 und Hans van Manens "Polish Pieces" von 1995 sollten die "Roses of Shadow" ihren morbiden Duft entfalten.

Wie bei "Deep Field" für Chor und Orchester im Jahr 2014 handelt es sich bei diesem Stück im Düsseldorfer Opernhaus um ein Auftragswerk der ungarisch-deutschen Komponistin Adriana Hölszky für das Ballett am Rhein. Der Untertitel des halbstündigen Stückes "Klangchoreografie für Sopran und acht Instrumentalisten" verweist auf den kammermusikalischen Charakter ihrer jüngsten Komposition.

Schläpfer sucht auch in seinen abstrakten Choreografien nach den seelischen Abgründen der von ihm stets besonders sorgfältig gewählten und intensiv studierten Musiken. In seiner Interpretation von Hölszkys "Roses of Shadow" jedoch begibt er sich tiefer als zuvor in den Urschlamm einer psychodramatisch aufgeladenen Moderne. Solche, heute in ihrer Expressivität oft schwer erträglichen Stücke, vorzugsweise in hautfarbenen Ganztrikots auf Spitze oder in Schläppchen getanzt, gingen in den Fünfziger- und Sechzigerjahren nicht nur über deutsche Bühnen.

Immerhin: Der Schweizer Choreograf, Jahrgang 1959, hat seinen Griff in die Mottenkiste der Moderne von Marcus Spyros Bertermann gefällig ausstatten lassen. Die neun Frauen und acht Männer tragen schwarze Hosen beziehungsweise Trikots mit angedeuteten Tellerröcken, roséfarbene oder gelb-beige Schärpen um die Taille oder den Oberkörper geschlungen. Sie tanzen auf flacher Sohle in Schläppchen - mit Ausnahme einer puppenhaften Prinzessin auf Spitze.

Bei Hölszky und Schläpfer kreißt akustisch wie optisch ein vorgestellter Weltuntergangsplanet und gebiert mit einem Glockenschlag und dann auch donnergrollend, keckernd, knispelnd, scheppernd, sprechsingend und die höchsten Tönen spuckend, einen Monolithen. Dieser dominiert, farblich changierend, als computer-generiertes Objekt den Bühnenhintergrund. Allem Welken und Vergehen trotzend, dräut er über den Tänzen zu Adriana Hölszkys atonaler, dabei gefühliger "Klangchoreografie", die die Musiker unter der präzisen Leitung von Wen-Pin Chien punktgenau zum Klingen bringen.

Inspiriert von Shakespeares 67. Sonett, will die Komponistin den Untergang alles Weltlichen hörbar machen. Dazu wurden die Instrumente vielfach präpariert und so verändert, dass etwa die Geige zum Rhythmusinstrument taugt und dabei klanglich kaum vom Akkordeon zu unterscheiden ist. Hinzu kommt die Lyrik amerikanischer Ureinwohner, poetische Klagen über die zerstörte Natur, deren fragile Schönheit in Sätzen wie diesen beschworen wird: "Zieh einen Kreis aus Gedanken um den sanften stillen Berg, und der Berg wird zu Kristall, und du siehst das offene Tal durch den kristallenen Berg, und die ganze Welt des Tals ist dein", heißt es da.

Dafür bemüht Hölszky kompositorisch das Melodram, greift also gut 100 Jahre und damit musikalisch noch viel weiter zurück als der Choreograf in seinen Bewegungsarrangements. Ihre Musik aber klingt um einiges heutiger, als Schläpfers Tiefenbohrungen aussehen. Balanchines Credo "Hör den Tanz, sieh die Musik!" nimmt bei Martin Schläpfer irritierend pathetische Gestalt an. Es grätschen Männer mit nackten Oberkörpern kraftvoll die Beine zum "V", setzen mit den Frauen zu Schreittänzen, kreiseln um sich selbst und auf den Boden oder paaren sich zu Zeitlupen-Duetten. Gruppen zerstieben disparat im Raum, rudern unisono mit den Armen oder kauern in Häufchen auf dem Boden, stets umhüllt von der düsteren Aura eines unausweichlich dramatischen Endes. Seltsam.

© SZ vom 21.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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