Tanz :Hochgepegelt

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Durchaus überdreht: Die Choreografin Constanza Macras nimmt sich mit ihrem Stück "The West" an der Berliner Volksbühne den US-Kulturimperialismus vor.

Von Dorion Weickmann

In Buenos Aires geboren, in Berlin ansässig - die Choreografin Constanza Macras ist eine Meisterin des Metroboulevards, auf dem Hip-Hop, Stepp und Ballett schwesterlich koexistieren. Als Selbstgänger wird sich wohl auch das Tanztheater-Potpourri "The West" entpuppen, unlängst an der Berliner Volksbühne uraufgeführt.

Constanza Macras nimmt die Im- und Exportstrategien des Westens - hier kulturelle Aneignung, dort kultureller Imperialismus - ins Visier. Von der TV-Superheldin namens "Bionic Woman" bis zu Milo Raus erhabenem "Orest in Mossul" werden sämtliche Unterhaltungsbezirke abgegrast. Schließlich handelt es sich um Spielwiesen der Eroberung, Anverwandlung, Eingemeindung, auf denen Fremdartiges ins Passepartout der US-amerikanischen Unterhaltungsindustrie gequetscht oder eurozentrisch eingefärbt wird.

Die Youtube-Choreografie kupfert Macras ab - vom ersten bis zum letzten Ausfallschritt

Nun sieht "The West" allerdings selbst nach verspäteter Faschingsparty aus. Zwischen Saloon- und Aerobics-Optik muss das zehnköpfige Performance-Kollektiv binnen zwei Stunden gefühlt dreihundert Umzüge bewältigen. Was es ohne Einbußen an sprachlicher, tänzerischer und gesanglicher Qualität zustande bringt. Auch deshalb gleitet der Zuschauer wie angeheitert durch ein Setting, das von der Wildwestwüste ins Fernsehstudio und weiter ins Schlafzimmer einer Doku-Soap springt, wo sich ein ungarisches Liebespärchen - Ethno-Label: "Zigeuner" - die Paradiese des Westens ausmalt. Herrlich, wie Macras die Copy-and-Paste-Mentalität der schönen neuen Popwelt persifliert, indem sie die Permutationen eines Reggae-Songs nachzeichnet bis die Schlüsselzeile "Boom Boom Girl" wie ein Markenzeichen klingt. Seit 1992 hat dieses Liedchen mehrfach die Charts gestürmt, bis es zuletzt 2019 unter dem Titel "Con Calma" neu verpackt und für YouTube & Co mit einer Choreografie aufgehübscht wurde, die Macras selbstverständlich abkupfert. Und zwar vom ersten bis zum letzten Ausfallschritt.

Ennio Morricones unverwüstliche Westernhymne "Spiel mir das Lied vom Tod" orgelt den Abend ein und aus, gefolgt von einem Epilog in Playmobil-Monturen: Cowboys meucheln Indianer. Was einem die Frage aufzwingt: Meuchelt Macras die Kunst? Immerhin kann sie auf Ahninnen wie Martha Graham verweisen, die nordamerikanische Mythen choreografisch verarbeitet hat, und das mit heiligem Ernst. Der Ururenkelin Macras ist nichts heilig, aber vieles ernst. Das gilt selbst bei hochgepegeltem Spaßfaktor. Insofern lohnt der Blick auf "The West" auch in postkarnevalesken Zeiten.

© SZ vom 06.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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