Tagebücher:Das Ego und der Biedermeier

Von Heribert Prantl

Dieses Buch ist die wunderbare Wiederentdeckung eines vergessenen Dichters der deutschen Romantik. Der Dichter hat den Allerweltsnamen Ernst Schulze; geboren 1789, gestorben 1817 im Alter von nur 28 Jahren. Aber sein Werk ist kein Allerweltswerk. Man muss Schulzes durchgestylte Verse und Gedichte nicht unbedingt mögen, die seinerzeit in der Goethe- Kategorie gehandelt wurden; aber die Sprachkraft und der Blick in den Biedermeier, den er gewährt, sind atemberaubend. Das Besondere und das Fürchterliche der anhebenden Biedermeierzeit wurden mir noch nie so klar vor Augen geführt wie in diesem Buch. Nichts war interessanter als das eigene Ego und die Gesellschaft, in der man sich selbst bewegte. Die Leute in ihren Salons waren offenbar außerstande, geradeaus zu reden. Ihre Konversation bestand aus Verstellung, Gestelztheit und Koketterie. Aber in Ernst Schulzes Tagebüchern und Briefen freut den Leser von heute der bissig-maliziöse Ton und sein ironisches Selbstverständnis. Schulze lebt.

© SZ vom 28.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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