SZ-Serie: Die Stunde der Dichter:Scharfe Klinge

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Kurt Eisner rief Bayern zur Republik aus, war erster Ministerpräsident des Landes und wurde Opfer eines politisch motivierten Mordes. Als Schriftsteller war er ein Meister des geschliffenen Worts

Von Karl Forster

Es war kein wirklich letzter Wille. Aber ein Wille, der das Letzte betraf: "Kurt Eisner lieget hie / Der Plänenreiche / Einst zweifelhaft Genie / Jetzt sicher Leiche." Der Autor schrieb das kleine Gedicht schon gut ein Jahr, bevor man ihn umbrachte, und adressierte es an "meinen Biographen, d. h. Grabsteindichter". Doch die Nachwelt folgte nicht dem fröhlichen Wunsche. Dort, wo ihn der rechtsradikale Mörder niederschoss, an der damaligen Münchner Promenadestraße, heute Kardinal-Faulhaber-Straße, steht auf dem Denkmal geschrieben: "Kurt Eisner, der am 8. November 1918 die bayerische Republik ausrief, nachmaliger Ministerpräsident des Volksstaates Bayern, wurde an dieser Stelle am 21. Februar 1919 ermordet."

Seither ist der Name des Täters, des völkisch-nationalistischen Leutnants Graf von Arco auf Valley, mit dem Namen des Mannes verbunden, der, obwohl Berliner und - im weitesten Sinne - Sozialist, aus Bayern gemacht hat, was es heute ist: einen Freistaat. Weswegen beide, in diesem Jahr des Staatsgründungsjubiläums wegen, und im nächsten, in dem sich der Tag der Tat zum 100. Mal jährt, viel Platz in den Medien bekommen. Wobei die Gefahr besteht, dass Kurt Eisners wahre Bestimmung, die eines Dichters, eines Meisters im geschliffenen Umgang mit Wort und Sprache, zu kurz kommen könnte.

Kurt Eisner kam am 14. Mai 1867 in Berlin zur Welt. Sein Vater Emmanuel Eisner war nicht nur ein erfolgreicher jüdischer Textilkaufmann, sondern hatte auch einen Vertrag als "Militäreffekten-Händler", er lieferte also aus seinem Geschäft Unter den Linden Uniformen für Soldaten meist höheren Ranges, eine Tatsache, die in der seelischen Entwicklung des jungen Kurt eine nicht unerhebliche Rolle spielen sollte. In Anbetracht des gehobenen Standes - schon der Großvater war vermögender Gutspächter in Böhmen - schickten die Eltern Kurt auf das damals bereits sehr angesehene Askanische Gymnasium an der Halleschen Straße; heute residiert es an der Kaiserin-Augusta-Straße und zehrt immer noch von seinem Ruf als erfolgreiches Rudersport-Zentrum.

Doch Kurt Eisner wollte nicht so recht ins Klassenbild passen, das vor allem von Söhnen höherer Beamter und Offiziere geprägt war. Lieber durchstreifte er in Berlins Norden die Proletarierviertel, lernte dort, wie es sein späterer Sekretär und Biograf Felix Fechenbach beschreibt, "die Not derer kennen, die im Schatten leben", und fühlte sich, auch weil sich der Wohlstand seiner Familie dem Handel mit dem Militär verdankte, irgendwie "mitschuldig an dem Elend der Besitzlosen". Da war der Weg zur Ablehnung alles Kriegerischen schon vorgezeichnet. In der Schule führte solches Denken zu heftigen Verwerfungen, denn dort wurde nur eine "approbierte, staatserhaltende Gesinnung geduldet". Das Abitur schaffte Eisner trotzdem anno 1886 und startete an der Universität zu Berlin, der heutigen Humboldt-Universität, mit dem Studium der Philosophie und Germanistik ins akademische Leben.

Noch aber war Kurt Eisner der Gedanke, er könne irgendwie Politisches oder Wissenschaftliches in die Welt bringen, völlig fremd. So wie auch die damaligen studentischen Gebräuche der "saufenden und raufenden Verbindungen" (Fechenbach). Sie waren ihm zuwider, statt dessen stürzte er sich, es sollte der krönende Abschluss des Studentendaseins werden, auf eine Doktorarbeit über Achim von Armin, diesen romantischen Schriftsteller aus dem Kreis um Clemens Brentano, Joseph von Eichendorff und die Brüder Grimm.

War's der Tatsache geschuldet, dass das elterliche Geschäft wegen zunehmend judenfeindlicher Tendenzen nicht mehr lief wie früher oder der aufkeimenden Lust, Wissen und Meinung einer breiten Öffentlichkeit zukommen zu lassen? Jedenfalls lässt Eisner nach drei Jahren Studium Doktorarbeit Doktorarbeit sein und wird 1889 Journalist, zunächst bei einem Berliner Korrespondenzbüro, dann bei der Frankfurter Zeitung. Aus dieser Zeit stammt auch eine brillant geschriebene, tiefschürfende Exegese der Werke Nietzsches, zu der Eisner im Vorwort in aller Bescheidenheit anmerkt: "Der Verfasser der nachfolgenden Erörterungen ist sich bewusst, weder den Ehrentitel der Objektivität noch den der Vornehmheit zu verdienen." Diese "Psychopathia spiritualis" bringt Eisner viel Anerkennung auch in den politisch intellektuellen Kreisen Berlins. Und einen ersten, selbst erschriebenen Wohlstand.

Kurt Eisner lässt sich in Eberswalde bei Berlin nieder, heiratet mit 25 seine Freundin Elisabeth, aus der Ehe gehen fünf Kinder hervor; er schreibt in der Zeitschrift Kritik Bissiges gegen die preußischen Behörden, was ihm neun Monate Gefängnis wegen Majestätsbeleidigung einbringt; er wechselt, wieder auf freiem Fuß, als Redakteur nach Marburg, erarbeitet eine fulminante Abhandlung über die gedankliche und politische Verwandtschaft zwischen Marx und Kant ("Denn sachlich gehört Marx zu Kant, in die Reihe der großen Aufklärer des 18. Jahrhunderts. . .") und fällt mit seinem pointierten Stil auch Wilhelm Liebknecht auf, einem der Gründerväter der SPD, der ihn zum Parteiblatt Vorwärts wieder nach Berlin holt. "Das ist eine scharfe Klinge, die wir da gewonnen haben." Eisner macht Karriere. Und wird mehr und mehr zum homo politicus. Natürlich ohne die Lust am Schreiben zu verlieren. Doch neben bissigen Kritiken und lustvollen Aufsätzen, wie sie unter anderem in der riesigen Textsammlung "Taggeist" gelistet sind, entstehen immer mehr große politische Aufsätze, die man heute wohl dem investigativen Journalismus zurechnen würde. Zum Beispiel über die Marokko-Krise im Jahr 1905, in der Eisner unter dem Titel "Der Sultan des Weltkrieges" die Fehler imperialistischer deutscher Außenpolitik unter Kanzler von Bülow herausarbeitet und fast prophetisch diese Krise als Weg in den großen Flächenbrand des Ersten Weltkrieges beschreibt. Die "deutsche Großmannssucht" sei, so Eisner, "die Gefahr für den Weltfrieden schlechthin".

Kurz vorher schon beschreibt Kurt Eisner in "Das Ende des Reichs" Deutschlands verqueres Verhältnis zur Französischen Revolution - als Verhinderung einer Revolution hierzulande, erstickt von der "Feudal-Thyrannei Altpreußens". Eisners kompromisslose Schriften sorgen nicht nur in den etablierten Kreisen für Ärger. Er überwirft sich auch mit der Vorwärts-Redaktion, die Ehe mit Elisabeth geht in die Brüche, und über ein paar fränkische Zwischenstationen landet Kurt Eisner 1910 dann in München. Unter anderem druckt vor allem die Münchner Post seine nach wie vor scharfzüngigen Artikel, er trifft sich mit Leuten wie Erich Mühsam, Oskar Maria Graf oder Ernst Toller im Goldenen Anker in der Schillerstraße, lebt in zunächst wilder, nach der Scheidung von Elisabeth offizieller Ehe mit Else Belli, einer Kollegin aus Frankenzeiten, zusammen (was zu zwei weiteren Kindern führen sollte) und wird, nach einem kleinen Fehltritt als Kriegsbefürworter in der SPD, zum immer kämpferischeren Pazifisten. Und zum Mahner, was die Profession eines neutralen Journalismus angeht. Er tobt gegen "ausgestunkene Lügen", gegen eine "ganz tiefe Flut des Hasses, der Verleumdung und Verletzung" in den etablierten Zeitungen, Zeilen, die sich gerade heute mit gemischten Gefühlen lesen.

Eisner gründet mit Gesinnungsfreunden den Antikriegs-Flügel der SPD, die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD), wird mehr und mehr vom homo scribens zum homo loquens, vom Schreibenden zum leidenschaftlichen Redner, was ihn letztlich in die Rolle als Gründer des Freistaates Bayern führt. Und in den Tod durch einen fanatischen Nationalisten.

Seine Wunschformulierung für den Grabstein wurde zwar ignoriert. Dafür setzte ihm Kurt Tucholsky ein dichterisches Denkmal, das so beginnt: "Da war ein Mann, der noch an Ideale glaubte / und tatkräftig war. / In Deutschland ist das tödlich. . . / Jedoch er hieb, dass faule Späne flogen. / Welch eine Wohltat war das, zu erleben / dass einer überhaupt den Degen zog, / ein Tapferer war und doch kein General."

© SZ vom 31.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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