Syrischer Fotograf vor Gericht:Schuldig wegen Unabhängigkeit

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Der Fotograf und Galerist Issa Touma kämpft in Syrien für ein Foto-Festival - und muss deshalb vor Gericht.

Matthias Kolb

Was soll daran staatsfeindlich sein? In einer Ecke hängen Reise-Impressionen des Belgiers Jean-Francois Pirson aus Ostafrika, daneben betrachten zwei Frauen kichernd die Fotos von Kinderschönheitswettbewerben, die Vance Jacobs aus den USA mitgebracht hat. Dicht gedrängt stehen die Besucher an diesem Abend in der Galerie Le Pont im syrischen Aleppo.

Soeben wurde das internationale Fotofestival eröffnet. Mehr als 1400 Kunstwerke von 70 Künstlern aus 32 Ländern werden hier bis Ende November gezeigt. 20 Fotografen sind nach Syrien gereist, darunter der Deutsche Johannes Hepp, dessen Serie "The Days after" über Orte des Terrors zuletzt in London ausgestellt wurde.

Lukrative Porträts der Präsidentenfamilie

Vor der Galerie wird das Motto "Begegnung mit dem Nahen Osten" Wirklichkeit: Der Syrer Pedros Temizian erzählt von seinem Projekt, in dem er die tristen Vororte von Damaskus dokumentierte. Nadim Bou Habib schildert das Leben im Bombenhagel von Beirut und kann nicht verstehen, dass sich die europäischen Kollegen noch immer nicht in den Libanon trauen: "Der Krieg ist doch vorbei."

Ständig wuselt ein kleiner Mann mit Rundbrille und Halbglatze durch die Galerie, das Handy immer am Ohr. Er rückt Bilderrahmen zurecht, stellt Leute vor und bleibt nirgends ruhig stehen. Der Fotograf und Galerist Issa Touma organisiert seit zehn Jahren in Eigenregie Festivals. Sein Arbeitstag wird damit enden, auf dem Hof Plastikstühle zu stapeln und in die Galerie zu tragen.

Für westliche Besucher wirkt es wie ein Riesenerfolg, dass ein solches Festival hier organisiert wird, im "Schurkenstaat", in dem die Geheimdienste mächtig sind und in dem Kunst lange eine staatstragende Angelegenheit war. Am besten verdienen Künstler, die sich auf Porträts der Präsidentenfamilie spezialisieren, mit denen das ganze Land zugepflastert ist.

Was Fremden sofort ins Auge springt, fällt den 19 Millionen Syrern vielleicht gar nicht mehr auf: Über jedem Schreibtisch und jeder Ladentheke wachen die Augen von Präsident Baschar al-Assad oder die seines Vaters Hafiz, der sich 1970 an die Macht geputscht und das Land 30 Jahre beherrscht hat. 60 Prozent der Syrer sind jünger als 35 Jahre und haben nie ein Staatsoberhaupt erlebt, das nicht el Assad hieß.

Touma ist zwiegespalten: Wenn er an all die Schikanen denkt, die er mal wieder überwinden musste, ist er zufrieden. Er hatte davon geträumt, die Fotos in einem alten Elektrizitätswerk auf mehreren Stockwerken zu zeigen. Nun hat er nur 100 Quadratmeter Ausstellungsfläche in seiner Galerie Le Pont zur Verfügung, auf denen die Bilder dicht an dicht hängen und im Wochenwechsel präsentiert werden müssen.

Der Grund für die Probleme: Touma weigert sich, seine Arbeit vom Geheimdienst und der Baath-Partei kontrollieren zu lassen und Bilder vor der Eröffnung einer Ausstellung vorzulegen. "Ich werde nicht die Schuhe der Funktionäre küssen und denen erzählen, wie toll sie sind", sagt er.

Das ist mutig in einem Land, in dem sich ausländische Kulturinstitute jedes Projekt vom Kultusministerium genehmigen lassen müssen. 2005 ließ die Provinzregierung Toumas Galerie schließen - er konnte sie erst nach neun Monaten wieder betreten, nachdem ein Gericht geurteilt hatte, die Galerie Le Pont sei "willkürlich und ohne rechtliche Grundlage" geschlossen worden.

Schmiergelder für die Vernissage

Im April besuchte Kulturminister Riad Nassan Agha die Wiedereröffnung der Galerie und bot Touma Hilfe an. "Wenn es Probleme gibt, rufen Sie mich an", sagte er. Touma begann Fotografen in aller Welt zu kontaktieren. Der Syrer ist ein umtriebiger Netzwerker, dessen eigene Bilder in den USA und Europa ausgestellt wurden. Zuletzt kuratierte er eine Ausstellung über zeitgenössische syrische Kunst in Kopenhagen. Finanzielle Unterstützung erhält er vor allem vom niederländischen Prinz-Claus-Fonds.

Auf dem Postamt kam Touma Anfang September erstmals der Gedanke, dass es Probleme geben würde. "Es hieß, jeder Syrer dürfe nur alle sechs Monate eine Lieferung aus einem Land bekommen. Deswegen könne ich einige Pakete nicht mitnehmen", erinnert er sich.

Einspruch ist zwecklos, Rechtssicherheit existiert nur auf dem Papier. Dann zog der Direktor des alten Elektrizitätswerks die Genehmigung zurück - der Galerist musste in seine eigenen kleinen Räume ziehen. Überflüssig zu sagen, dass der Kulturminister nie zu erreichen war.

Fünf Tage vor der Eröffnung klingelte Toumas Mobiltelefon: Ein Informant sagte ihm, dass vor dem Militärgericht ein Verfahren gegen ihn eröffnet wurde, weil er widerrechtlich seine Galerie eröffnet habe. Touma versteckte sich vor der Polizei. Sein Anwalt erreichte, dass der Galerist bis zum Prozessbeginn auf freien Fuß bleiben und sich um das Festival kümmern kann. Die Eröffnung fand nur statt, weil Touma Schmiergelder an den zuständigen Polizisten zahlte.

"Seit zehn Jahren gibt es die Festivals, ich habe Hunderte Besucher nach Syrien gebracht", sagt er. Seit 1999 organisiert er zudem das "Women's Art Festival". Doch er weiß selbst, dass es seine Unabhängigkeit ist, die ihn so verdächtig macht. Dabei ist Touma kein Oppositioneller und hält sich für einen "unpolitischen Menschen".

In seinen Arbeiten zeigt er den syrischen Alltag: Er dokumentiert Straßenszenen in Aleppo und porträtiert die Betenden einer Hinterhofmoschee. Aber als Galerist stellt er Grundsätze der staatlichen Kulturpolitik in Frage, wenn er die Arbeiten jüdischer Künstler, Bilder nackter Frauen und Videoarbeiten präsentiert.

Da man in Syrien nicht Fotografie studieren kann, brachte sich Touma, Sohn einer armenisch-christlichen Mutter und eines griechisch-orthodoxen Vaters, sein Handwerk selbst bei. Als er merkte, dass es keine Ausstellungsflächen für junge Künstler gibt, eröffnete er 1996 seine eigene Galerie.

Auf ausländische Künstler wirken Touma und seine Helfer wie Botschafter eines anderen Syrien: Sie zeigen die Schönheiten des seit 5000 Jahren besiedelten Aleppo mit seiner mittelalterlichen Zitadelle und den engen Gassen des Basars. Dort gibt es Olivenseife, aber keine Pepsi zu kaufen, an einigen Wänden fordern noch Plakate zum Boykott dänischer Produkte auf. Auch Poster von Hisbollah-Chef Nasrallah sind allgegenwärtig.

Woher haben die die Briefe?

Touma glaubt eigentlich an die Macht des Dialogs. So organisierte er unter anderem ein Treffen mit dem syrischen Großmufti Ahmad Hassoun, der in seiner Rede zu Toleranz aufrief und Extremismus verurteilte. Mit solchen Aktionen versucht Touma auch seine Spielräume zu erweitern: "Ich muss immer einen Schritt voraus sein."

Bis vor kurzem hoffte er, das ihn sein internationales Renommee ein wenig schützen würde. Sicher kann er sich da aber ohnehin nicht sein, die syrische Politik ist völlig undurchschaubar, ständig wechseln die Kader und die Machtverhältnisse. Und Anfang Oktober erließ das Sicherheitsbüro des Premierministers ein Dekret, das es allen syrischen Politikern strengstens verbietet, mit Touma zu sprechen. Er selbst schätzt seine Lage nun als "sehr gefährlich" ein: Es sei nicht voherzusagen, was passiere, wenn das Festvial endet.

In den persönlichen Gesprächen seien die Geheimdienstmitarbeiter meist freundlich gewesen, sagt Touma. Doch immer wieder hätten Agenten plötzlich mit Briefen gewedelt, die er verschickt hatte. Was ihm vorgeworfen wird, ist nie zu erfahren, aber die Bürokraten können auf jeden Fall nicht verstehen, wie jemand ohne staatlichen Auftrag eigenständig tätig wird.

Am heutigen Mittwoch beginnt sein Prozess vor dem Militärgericht. Issa Touma macht sich keine Illusionen: "Die Richter werden das Urteil fällen, das ihnen diktiert wird."

© SZ vom 17.10.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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