Sven Regeners neuer Roman "Magical Mystery":Bumm-Bumm Buddha

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Humorvoller Chronist einer zauseligen Zwischengeneration: Sven Regener. (Foto: Charlotte Goltermann)

Sven Regeners neuer Roman "Magical Mystery" holt einen alten Bekannten zurück in den Tourbus. Herrn Lehmanns bester Freund muss seine Entzugs-WG verlassen und zwischen debilen DJs nüchtern bleiben. Das Buch ist ein Schelmenroman über das Mittelalter der Popmusik.

Von Till Briegleb

Irgendwann zwischen dem Ende der DDR und dem Anfang des Euro war dieser Red-Bull-Techno entstanden. Eine völlig sinnentleerte Euphoriekultur, in deren geradlinigem Bumm-Bumm sich die Menschen vom Stress der Wiedervereinigung erholen konnten. Vermutlich war dieser Techno für das postdiktatorische Deutschland das, was der Nierentisch-Chic für die Nachkriegsgeneration gewesen ist: ein Sieg über die Schuldgefühle durch die Konsum-Moderne, mit dem man sich vorm Nachdenken drücken konnte.

Auf jeden Fall gehörten Gespräche und Diskussionen nicht zum Charakter dieser Techno-Kommunikation. Das Vorkommen von Wörtern zwischen Menschen rund um die Massen-Raves hieß vielmehr "Laber-Flash" und war die verbale Maxi-Veröffentlichung von Gehirnen, die auf Drogencocktails mit dem irrtümlichen Gefühl segelten, grenzenlose Klarheit zu besitzen.

Konsequent nüchtern und humorgesegnet

Kann man aus diesem Stoff ein fünfhundert Seiten dickes Buch machen, das fast nur aus Laber-Flashs und innerem Monolog besteht? Nur, wenn die Hauptfigur konsequent nüchtern und mit reichlich Humor gesegnet ist - und außerdem ein liebevolles Verhältnis zum Menschen an sich pflegt. So ein Buddha ist Karl Schmidt. Wobei das mit der Nüchternheit nicht ganz freiwillig ist, denn "Charlie", wie ihn seine Freunde nennen, musste am Ende von Sven Regeners 2001 erschienenem Erfolgsroman "Herr Lehmann" leider in die Klapse. Eine Kombination aus schwerer Depression, langer Schlaflosigkeit und hemmungsloser Selbstmedikation mit verschreibungspflichtigen Aufputschmitteln endete für Herr Lehmanns besten Freund am Tag des Mauerfalls in der Psychose.

Nun, einige Erfolgsromane über das Leben Herrn Lehmanns später, ist Karl Schmidt zurück. Gut eingelebt in eine therapeutische Wohngemeinschaft für multitoxisch Veranlagte in Hamburg-Altona und irgendwie zufrieden mit einer Hausmeister-Assistentenstelle in einer Kinderverschickung mit Streichelzoo, begegnet er bei einem Eisbecher "Monteverdi" ohne Eierlikör und Cocktailkirsche Raimund - einem Boten aus der psychedelischen Vergangenheit in Berlin, der Karl Schmidt zurück ins Leben ruft. Aber bitte nur nüchtern. Denn Raimund und sein Freund Ferdi haben Charlies schöpferische Pause im Haldol-Universum dazu benutzt, ein Techno-Label mit dem Namen "BummBumm" aufzuziehen, bei dem jeden Tag "das Geld durch die Decke regnet". Und für eine DJ-Tour unter dem Namen "Magical Mystery" brauchen sie einen Fahrer, der die pharmakologisch Praktizierenden sicher zu den Clubs und auch wieder heraus bringt.

Was dann folgt, wäre ungefiltert durch Sven Regeners lakonischen Humor für jeden halbwegs kultivierten Menschen eine Stopfenten-Folter. In einem überfüllten Tourbus mit Techno-Künstlern, die Schöpfi, Dubi oder Basti heißen und das Interessenspektrum einer Stubenfliege besitzen, zehn Tage zwischen Rollstuhlfahrer-Disco in Schleswig-Holstein und Massen-Rave in Essen zu pendeln, das dürfte nüchtern nicht zu ertragen sein. Aber nur so wird eben eine Geschichte draus. Denn im Kern ist dieses debile Unternehmen eine St.-Antonius-Prüfung im Dumpfbacken-Milieu, in der die heilige Abstinenz eines Rückfallgefährdeten mit den Versuchungen der chemischen Ekstase kämpft.

Sich an Kaffee, Zigaretten und feste Vorsätze krallend wie der ägyptische Eremit an das Gebet, übersteht Karl Schmidt aber alle Fallen der satanischen Verlockungen. Obwohl ständig bedroht, durch das Kiffen im Tourbus bereits "kontaktstoned" zu sein, gewinnt er Schritt für Schritt Zutrauen zu seinem alten Leben und ist am Ende der "Magical Mystery Tour" erfolgreich resozialisiert, und zwar immer noch trocken.

Hedonistischer Hindernisparcours

Wie Karl Schmidt durch diesen hedonistischen Hindernisparcours gelangt, das ist trotz der manchmal allzu akribisch notierten Laber-Flashs seiner Reisegruppe eine große Satire - und gleichzeitig ein Plädoyer für die eher einfach gestrickten Typen einer Spaßkultur, die man im Laufe der Karawane durch Fluxi-Hotels, Friedas Fischbratküche und Faceless-Techno-Events alle liebgewinnen muss.

Allerdings erfährt man auch nicht wirklich etwas über die Biografien der HostiBros, von Odo und Rama Noise oder DJ Schulti, wie die Volldampf-Freaks im Tourbus mit Künstlernamen heißen. Jedenfalls kaum mehr als über Lolek und Bolek, die zwei Meerschweinchen vom Techno-Lehrling Holger, die er heimlich mitgenommen hat und die als Tour-Maskottchen für Karl Schmidt zum primären Bezugspunkt werden, wenn seine Fracht im Club ist oder den Rausch ausschläft.

Kommentar und Komödie

Denn Sven Regeners Bücher bestehen ja ebenfalls aus Laber-Flashs, wenn auch mit Niveau und als Gedankenprotokoll. Alle seine Romane und Blogbeiträge leben von der fein kommentierenden Beobachtung mit zahlreichen komödiantischen Zwischensprints, und nicht so sehr von der Aufschlüsselung irgendwelcher Hintergründe zu Erklärungszwecken.

Funktionieren kann das über diese lange Strecke aber nur, weil Regener milieugenau ist. Seine Beschreibungen des wöchentlichen Plenums in der Altonaer Entzugsgemeinschaft mit Astrid, Henning und Klaus-Dieter, von den eitlen Marotten pädagogischer Führungskräfte oder den absurden Ritualen einer stumpfen Hausmeistertätigkeit sind genau so plastisch wie die Protokolle schlechter Stimmung beim Hotelfrühstück oder des Rausch-Finales in der Essener Grugahalle.

Erbrochenes mit Red-Bull-Duft

Das große Sittengemälde aus chemischem Glück und sich selbst stimulierender Tanzmasse, glasigen Augen und Erbrochenem mit Red-Bull-Duft, von Typen, die Koks ins Bier tun und dann beim Sanitäter schreien, sie hätten einen Herzinfarkt - das alles ist so präzise erzählt, als sei der alte Poesie-Rocker Sven Regener in den Neunzigern tatsächlich selbst beim Rave dabei gewesen.

Als vierter Teil der Herr-Lehmann-Trilogie und logischer Nachfolger des halbfiktiven Tourtagebuchs über das Autoren- und Bandleben mit seiner Gruppe Element of Crime, das 2011 unter dem Titel "Meine Jahre mit Hamburg Heiner" erschienen ist, liefert Regener mit diesem Porträt einer Zwischenepoche also einen weiteren Beweis, wie beständig seine Zausel-Literatur funktioniert. In 79 Kapiteln Kurzsatire über das alltägliche Unvermögen gewöhnlicher Typen, vernünftig und verantwortungsvoll zu sein, und mit ironischer Freude an den absurden Konsequenzen, die ein totes Meerschweinchen auf einem Autobahnparkplatz oder pedantische Rezeptionisten entfachen, wird Deutschland für Stoner erklärt.

Humorbilanz einer Plastik-Generation

Weil Herr Regener ja nun auch schon etwas über fünfzig ist, zieht sein Held Karl Schmidt diese Humorbilanz einer Plastik-Generation aber im väterlich-freundschaftlichen Ton. Das bewahrt diesen Roman vor zu viel Berufsjugendlichkeit und öffnet ihm den Horizont zu einem herrlich nüchternen Schelmenroman über das Mittelalter der Popmusik, als es noch hieß: "Profil ist was für Reifen".

© SZ vom 14.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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