Suhrkamp-Verlag:Schutzschirm als Rettung

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Das Klingelschild zur Privatvilla von Ulla Unseld-Berkéwicz in Berlin (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Das Schutzschild-Verfahren, das der Suhrkamp-Verlag jetzt beantragt hat, wird eine erbarmungslose Inventur nach sich ziehen. Es wird allerdings auch die Leidenschaften der streitenden Gesellschafter heilsam auskühlen - und bietet die Chance zur Rettung eines Verlages, der vorerst unersetzlich ist.

Ein Kommentar von Gustav Seibt

Man macht es sich zu leicht, wenn man sagt: Dieses Ende war abzusehen. Denn eine Katastrophe, die angekündigt ist, wird im vernünftigen Fall Anstrengungen herausfordern, sie abzuwenden. Dass das Haus Suhrkamp nur elfeinhalb Jahre nach dem Tod des charismatischen Verlegers Siegfried Unseld, der den Verlag zum Synonym für eine Kultur und zugleich zu einem der kaufmännisch erfolgreichsten Unternehmen der Branche gemacht hat, in die Vor-Insolvenz - in Gestalt eines Schutzschirmverfahrens - gehen muss, hat etwas Atemberaubendes. Denn es sei, wie es sei: Auch ein Schutzschildverfahren suspendiert die finanziellen Ansprüche der Gesellschafter.

Rückblickend mag sich alles in den unaufhaltsamen Gang einer Tragödie einordnen: die Enterbung des befähigten erstgeborenen Sohnes, das Konstrukt einer Familienstiftung mit der zweiten Ehefrau Siegfried Unselds als bestimmender Figur, das Ausscheiden des zweiten Gründungsgesellschafters Reinhart, die Querelen im prominent besetzten Beirat, der Eintritt eines neuen Gesellschafters mit den Allüren einer feindlichen Übernahme, ein Umzug, der viel Geld bringen sollte, aber auch viel Geld kostete, juristische Auseinandersetzungen auf mehreren Ebenen des Gesellschaftsrechts, Fehden und Verbalinjurien in den Feuilletons, problematische Einzelheiten aus dem Gebaren der in einer Doppelrolle als Geschäftsführerin und Stiftungsvorsitzender agierenden Verleger-Witwe und Nachfolgerin Ulla Unseld-Berkéwicz.

Ja, das ist auch Stoff eines realistischen Romans, der so mit Zahlen, Vertragstexten und Gesetzen operieren müsste, wie es die Literatur seit Balzac und Dickens gelernt hat. Aber jedes der einzelnen Kapitel dieser bitteren Geschichte bezeichnet auch eine Gelegenheit, wo man hätte umsteuern müssen, wenn die Beteiligten bei Sinnen gewesen wären. Dass die juristisch erzwungene Kontenklärung samt Suspendierung aller Ausschüttungen - also die Insolvenz - nun viel schneller kommen könnte als befürchtet, zeigt das Ausmaß des Leichtsinns und der Rechthaberei bei den zwei verbliebenen Gesellschaftern, vertreten durch Hans Barlach und Ulla Unseld-Berkéwicz.

Erklärbar ist das nur mit Verblendung, mit einem rätselhaften Gefühl der Sicherheit: Kann ein Verlag, der sich auf Brecht, Hesse, Frisch, Thomas Bernhard, Handke und so viele andere stützen kann, überhaupt untergehen? Er darf es gar nicht, war die Auskunft der Literaturfreunde, und schon das zeigte eine gewisse Leichtfertigkeit.

Moment für einen Neustart

Nun wäre selbst eine Insolvenz nicht das Ende, sondern der Moment für einen Neustart. Jetzt kann ohne Beschönigungen bilanziert werden, und dabei wird herauskommen, dass die ideellen Werte, die im Streit um Geld und Verträge immer beschworen werden, auch materiell noch sehr viel zählen.

Die Suhrkamp-Verlage gleichen einem riesigen unaufgeräumten Haus mit zahlreichen Zimmern, Kammern und Kellern voller bekannter und unbekannter Vorräte und Schätze. Nun muss aufgelistet werden, was von den modernden Rechten des Insel-Verlags noch von Wert ist, wie Klassiker-Verlag und Verlag der Weltreligionen samt ihren öffentlichen Fördermitteln wirklich dastehen.

Erst dann lässt sich das Gewicht der modernen Klassiker sowie der erfolgreichen oder auch nur anerkannten jüngeren Autoren realistisch einschätzen. Und wie immer in solchen Momenten dürfte herauskommen, dass man etwas weniger reich war, als man sich wähnte.

Noch nicht der Untergang

Das erbarmungslose Licht dieser Inventur wird dazu führen, dass viel Schnickschnack auf die Seite geräumt wird, nicht nur die berüchtigte Villenrepräsentation, sondern auch Dinge wie der Flagshipstore, ein Branding, das nur noch ältere Insider verstehen, und mutmaßlich auch Programmteile, die allzu viel Querfinanzierung erfordern.

Lager, aus denen nichts mehr verkauft wird, werden geräumt, so ist das bei Konkursen. Vor allem wird man nicht darum herumkommen, das Verhältnis von Personalstärke und Programmumfang auf das in anderen Qualitätsverlagen übliche Maß zu bringen. Das ist bitter, es wird einzelne Leistungen und Schönheiten reduzieren, aber es ist noch nicht der Untergang.

Es geht im modernisierten deutschen Gesellschaftsrecht darum, vorrangig das Unternehmen zu schützen, nicht aber die Unternehmer. Die Ansprüche der Gesellschafter können nun realistisch beziffert werden, im Verhältnis zu den realen verbliebenen Werten, ohne dass weiter Geld für Rechtsstreitigkeiten verbrannt wird.

Die Nüchternheit des Schutzschirmverfahrens, bei dem ein Sachwalter die Geschäfte von Suhrkamp übernimmt, wird die Leidenschaften der Streitparteien heilsam auskühlen. Diese werden ab jetzt belanglos sein; eine verantwortungsbewusste Verwaltung, die vorerst einen von außen bestellten Geschäftsführer zu vermeiden hilft, sollte das übergeordnete Ziel im Auge behalten: ein Unternehmen zu retten, womöglich zusammenzuhalten, das vorerst unersetzbar ist.

© SZ vom 28.05.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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