Südamerikanische Literatur:Rote T-Shirts

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Vor gut zwölf Jahren emigrierte Karina Sainz Borgo von Venezuela nach Spanien. In ihrem Debütroman "Nacht in Caracas" kehrt sie nun in ihre Heimatstadt zurück - und sieht dort nur noch Gewalt und Verderbnis.

Von Ralph Hammerthaler

Herrlich sei das Land in seinen Psychopathien, großzügig in Schönheit und Gewalt, schreibt die venezolanische Journalistin Karina Sainz Borgo in ihrem ersten Roman "Nacht in Caracas". Es kommen also durchaus Momente vor, die eine gewisse Lust am Widersprüchlichen verraten, und ohne Widersprüche ist Venezuela nicht zu haben, schon gar nicht literarisch. Meistens aber richtet sich die Autorin mit dem erzählenden Ich ihrer Figur Adelaida in bequemer Verachtung ein, in Hass und Abscheu.

Zweifellos wird dieser jungen Frau übel mitgespielt, von selbst ernannten Revolutionären und deren auf den eigenen Vorteil bedachten Handlangern; zweifellos auch versinkt das Land in Chaos. Dass die Autorin so genau weiß, wo der Feind steht, mag militärisch (und im Straßenkampf) nützlich sein, literarisch aber wirkt das etwas dürftig.

Nach dem Tod ihrer Mutter, mit der sie in symbiotischer Zweisamkeit gelebt hat, sieht sich Adelaida vor die Tür gesetzt. Ihre Wohnung ist von plumpen und natürlich hässlichen Frauen besetzt worden, die im Namen des Comandante für die gerechte Sache, im Grunde aber für das eigene Fortkommen kämpfen. In dieser Zeit sind rote T-Shirts sehr beliebt, am besten mit dem Konterfei von Hugo Chávez. Diese T-Shirts ziehen sich auch Motorradfahrer über, Motorizados de la Patria, um dann Angst und Schrecken zu verbreiten. In der Stadt wird geplündert; wer protestiert, wird niedergeschossen; im Kerker wird so lange gefoltert, bis das Opfer nach einem roten T-Shirt verlangt - offenbar das Einzige, was im Überfluss vorhanden ist.

Der armen Adelaida bürdet Karina Sainz Borgo alles Erdenkliche auf. In nur wenigen Stunden wird sie erst bewusstlos geschlagen, dann von einer Nachbarin notdürftig verarztet, um kurz darauf vor die Leiche einer anderen Nachbarin geführt zu werden, die sie aus dem Fenster kippen muss, nicht weit von einem in Brand gesteckten Müllcontainer. Zwischendurch schaut sie durchs Fenster auf einen sterbenden Jungen auf der Straße. Und ihr Freund, ein Journalist, wird im Grenzgebiet zu Kolumbien mit durchgeschnittener Kehle gefunden.

Also, in Adelaidas Haut will man wirklich nicht stecken. Selbst wenn sie in den Unterlagen der geschickt entsorgten Nachbarin einen spanischen Pass entdeckt und so die Chance bekommt, geschickt verwandelt der Hölle von Caracas zu entfliehen.

Im Jahr 1982 wurde Karina Sainz Borgo in dieser Stadt geboren. Vor gut zwölf Jahren ist sie nach Spanien emigriert, heute lebt sie als Journalistin in Madrid. Im Anhang ihres Romans bedankt sie sich bei etlichen Familienangehörigen, die allem Anschein nach ganz wunderbare Menschen sind. Von diesem Wunderbaren lässt sie höchstens Adelaidas Mutter etwas zukommen und den Tanten im fernen Küstenort Ocumare, den Gesängen der einfachen Frauen beim Melken, Mahlen und Bügeln. In den ruhig erzählten, in der Provinz spielenden und eher zweitrangigen Szenen liegt die Kraft eines Romans, der für die Verhältnisse in der Hauptstadt keinen Rhythmus findet.

Von den ungelenken narrativen Mitteln sollte man sich trotzdem nicht abschrecken lassen, weil einem sonst der Blick auf eine verrohte Gesellschaft entginge, die sich ans Wegschauen gewöhnt hat und an den puren Eigennutz. Anders könnte sie nicht überleben. Das, immerhin, führt die Autorin vor Augen, wenngleich ihr Roman die Erwartungen nicht erfüllt. Wer würde heute ein Buch über das zerrissene Venezuela nicht lesen wollen?

Vorerst muss man sich mit dem vor drei Jahren erschienenen Roman "Die letzten Tage des Comandante" begnügen. Darin zeigt sich Alberto Barrera Tyszka den Spannungen und Widersprüchen seines Landes gewachsen und stellt seine Figuren entsprechend auf. Während Sainz Borgo überall nur Verderbtheit und Gewalt erblickt, sieht Barrera Tyszka auch die Schönheit. Ironisch erinnert er dort an eine Anekdote, die nach guter Operette klingt: Drei Fallschirmspringer der Streitkräfte schweben vom Himmel, um der gerade gekürten Miss Venezuela ein Geschenk zu übergeben. Einer davon ist der junge Soldat Hugo Chávez.

Karina Sainz Borgo: Nacht in Caracas. Roman. Aus dem Spanischen von Susanne Lange. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2019. 224 Seiten, 21 Euro.

© SZ vom 21.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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