Favoriten der Woche:Die spinnen, die Zeichner

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"Die neuen Abenteuer von Herrn Hase 6: Beim Teutates!" ist gerade im Reprodukt Verlag erschienen und kostet 13 Euro. (Foto: Reprodukt Verlag)

Asterix funktioniert auch als Fakefigur, der Struwwelpeter geht immer und: Wer träumt gerade nicht von der Fahrt auf einer Natureisbahn? Empfehlungen der SZ-Redaktion

Von SZ-Autoren

Abgefahren: Herr Hase bei den Galliern

Und plötzlich findet sich Herr Hase im Jahr 50 v. Christus an der Seite von Obelix wieder. In seinem neuen Album "Beim Teutates!" ( Reprodukt Verlag ) bringt der französische Comicautorzeichner Lewis Trondheim seine bekannteste Figur mit den Galliern, Römern und Piraten aus dem "Asterix"-Universum zusammen. Alle scheinen Herrn Hase, der nicht weiß, wie ihm geschehen, sogar für Asterix selbst zu halten. Mit der Schwierigkeit, dessen Flügelhelm auf (oder besser neben?) die langen Hasenohren zu platzieren, fangen die Probleme aber erst an. Herrn Hases moderne Geisteshaltung (er isst kein Fleisch, "die Massentierhaltung, das Ozonloch, der Wasserverbrauch") passt eben so gar nicht zu den wildschweinfressenden, sich prügelnden, göttergläubigen Galliern. Besonders schmerzhaft wird der Clash der Zeit- und Realitätsebenen, als Herr Hase und Obelix einen Trupp Römer vermöbeln, die aber nicht lustig aus ihren Sandalen in die Bäume fliegen, sondern blutüberströmt - und tot! - vor ihnen liegen. Obelix, ein Mörder? Der tötet, weil er es kann und weil Prügeln so lustig ist? Da hört der Spaß eigentlich auf, aber so richtig mag sich "Asterix"-Fan Trondheim zwischen Dekonstruktion und Hommage dann doch nicht entscheiden.

Die Figuren sehen übrigens ganz und gar nicht wie die von Albert Uderzo entworfenen, mittlerweile von Didier Conrad gezeichneten Gallier aus. Herr Hase hat seine üblichen langen Hasenohren, die Gallier tragen bräunlich-graue Kartoffelnasen im Gesicht. Bemerkenswert, dass die "Asterix"-Rechteinhaber Trondheims Variation überhaupt genehmigt haben, nie zuvor wurde die Serie mit offizieller Genehmigung parodiert oder so umfangreich zitiert. Trondheim wiederum hat seinen langohrigen Helden schon zuvor in diverse surreale Abenteuer gestürzt. So seltsam wie diese Körpertausch-Zeitreise-Geschichte aber muten selbst die abgefahrensten "Abenteuer von Herrn Hase" nicht an. Trondheim selbst kommentiert sehr passend: "Die spinnen, die Comiczeichner:innen." Martina Knoben

Sagenhaft urig: Die Natureisbahn von Friedrichroda

Verwunschen und von Moos bewachsen: die Spießbergbahn im Thüringer Wald bei Friedrichroda. Hier sollte 1966 die X. Weltmeisterschaft im Rennschlittensport stattfinden. (Foto: Christine Dössel)

Wer am Spießberg in Friedrichroda, im thüringischen Landkreis Gotha, den Wald betritt, wähnt sich in einer verwunschenen Märchenwelt. Sagenhaft urig ist es hier. Fichtenforste, Brombeersträucher, Blätterdickicht. Mittendrin, moosbewachsen, und halb verwittert, ein Mauerwerk, das sich 1266 Meter lang kurvenreich bergabwärts windet: eine Betonrinne, einst genutzt als Bob- und Rennschlittenbahn, die sogenannte Spießbergbahn, entstanden als eine der wenigen Natureisbahnen Europas. Eingeweiht 1910, hätte sie im Februar 1966, zu DDR-Zeiten, ihre ganz große Zeit haben sollen: Für die X. Rennrodel-Weltmeisterschaft wurde die Piste umfangreich umgebaut und alles daran gesetzt, Friedrichroda WM-tauglich zu machen. 100 000 Thüringer Bratwürste wurden in Bereitschaft gebracht, drei Sonderbriefmarken gedruckt, und als die Temperaturen stiegen, haben Scharen von Helfern eigenhändig Schnee aus dem Tal zum Berg gebracht, "unter unsäglichen Mühen", wie es in Presseberichten hieß.

Und dann? Dann setzte erneut Tauwetter ein, und die Rodel-WM wurde abgeblasen. Aus die Maus. Tragisch für Friedrichroda - auch, weil danach das thüringische Oberhof zum Wintersport-Hotspot wurde. Auf der Spießbergbahn fanden zwar noch Meisterschaften statt, aber nur DDR-eigene, und seit den Achtzigern werden die oberen 1000 Meter gar nicht mehr genutzt. Auf dem modernisierten unteren Abschnitt trainieren noch Nachwuchsrodler - im Sommer.

Kunst am Bobbahnrand: Bei dieser Hütte erinnert Kristin Wenzels Klangarbeit "Tausend Melodien" an die einstige WM-Euphorie. (Foto: Kristin Wenzel)

Die 1983 in Gotha geborene Künstlerin Kristin Wenzel hat im Rahmen der "Thüringer Verführungen" des Kunstfests Weimar die Rodelbahn und ihre Geschichte zum Anlass für eine Erinnerungsarbeit mitten im Wald genommen. An einer der alten Ansager-Hütten am Rande der Bahn ertönen aus einem Lautsprecher Schlagzeilen von damals, als Friedrichroda in der WM-Euphorie war. Dazu gibt es einen verfremdenden Soundteppich (Benjamin Waschto), der mit Tropfgeräuschen ausklingt, die das schmelzende Eis ebenso verklangbildlichen wie wohl auch die Tränen der Enttäuschung. "Tausend Melodien" nennt Wenzel in Anlehnung an eine einstige DDR-Radiosendung ihre täglich von 10 bis 15 Uhr im Loop laufende Soundinstallation (noch bis 20. November). Begleitend zeigt die pfiffige Weimarer ACC Galerie anhand von Artikeln, Dokumenten und Objekten die Recherchearbeit der Künstlerin. Nur eines bleibt offen: Was ist mit den 100 000 Bratwürsten passiert? Christine Dössel

Kontrovers, aber fair: "Kampf um die A 49"

Der Neunzigminüter "Die Autobahn: Kampf um die A 49" von Klaus Stern und Frank Marten Pfeiffer ist als Dokumentation mindestens sehr gelungen. (Foto: WDR/stern film/WDR/stern film)

Eine Dokumentation gelingt, wenn kontroverse Positionen fair dargestellt werden und man als Zuschauer etwas lernt über den konkreten Sachverhalt hinaus, wie bei einer Fabel. In diesem Sinne ist der Neunzigminüter "Die Autobahn: Kampf um die A 49" von Klaus Stern und Frank Marten Pfeiffer mindestens sehr gelungen. Der Film, der in der ARD-Mediathek zu sehen ist, stellt die vielen Konflikte dessen dar, was man aus innerdeutscher Ferne als yet another Infrastrukturprojekt leicht unterschätzen könnte. Dabei geht es eben nicht "nur" um 85 Hektar zu rodenden Forst, um die Heimat auch von Filmemacher Stern. Es geht um die Interessen von Anwohnern, Wirtschaft, Politik in der Verkehrswende, um Aktivismus und die Frage, auf Basis welchen Mandats dieser agiert. Es geht also um unglaublich viel - und dieser tolle Film verliert dabei nie den Faden. Cornelius Pollmer

Echte Theatermusik: Richard Wagners "Walküre" in Zürich

Camilla Nylund als Brünnhilde in Zürich. (Foto: Monika Rittershaus)

Das Opernhaus Zürich ist in seiner Akustik das maximale Gegenteil des Bayreuther Festspielhauses. Wer ein esoterisches Erlebnis sucht, ist hier falsch. Wer Theater will, wird glücklich. Gerade jetzt mit Richard Wagners "Walküre". Gianandrea Noseda begreift die Musik als tönendes Schauspiel, dirigiert mit äußerster Plastizität, entfacht Stürme der Dynamik, die die Solisten fordern, aber nie überfordern. Die Aufführung ist als Bilderbuch der Leitmotive von packender Kurzweil, vor allem dann, wenn Tomasz Konieczny als Wotan all seine schauspielerischen Fähigkeiten auspackt. Da muss man auch gar nicht mehr über Details der Inszenierung von Andreas Homoki nachdenken, da erfüllt sich alles im Moment menschlicher und musikalischer Wahrheit. Egbert Tholl

"Der Struwwelpeter" mit dem Ensemble Modern

Ein Meisterwerk der schwarzen Pädagogik - oder doch eine herrliche Groteske, so stark überzeichnet, dass man die unterstellte Bedrohung des Kindeswohls ohnehin nicht für bare Münze nimmt: Über Heinrich Hoffmanns "Der Struwwelpeter" lässt sich streiten. Michael Quast und Sabine Fischmann jedenfalls haben hörbar Spaß an den wenig korrekten Geschichten vom Suppen-Kaspar und vom Zappel-Philipp und führen sie gemeinsam mit dem Ensemble Modern im Volkstheater in Frankfurt auf. Der Hörspielregisseur Björn SC Deigner wiederum hat das zwischen Musical und Rockoper changierende Spektakel fürs Radio aufgenommen und abgemischt, sodass dieser "Struwwelpeter" eben nicht nach Bühne klingt, sondern nach Hörfunk (SWR 2, 24.9.2022, 23.03 Uhr und SWR-Audiothek). Ein akustisch lustvoll ausgestaltetes Gruselkabinett. Stefan Fischer

Lust am Ungehorsam: "Der Struwwelpeter" an der Volksbühne in Frankfurt mit Michael Quast, Sabine Fischmann und dem Ensemble Modern. (Foto: Niko Neuwirth)
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