Streit um Evolution und Schöpfungslehre:Gott beweist: Darwin ist tot

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An der Schwelle zum Mittelalter: Die Evolutionstheorie wird nicht nur in den USA bekämpft - der christlich-fundamentalistische Kreationismus breitet sich auch an deutschen Schulen aus.

Alex Rühle

Vor wenigen Monaten wurde vielen Schulen in Frankreich, Belgien, Spanien und der Schweiz ein opulenter Bildband zugeschickt: 800 Seiten dick, mit herrlichen Fotografien aus der Tier- und Pflanzenwelt, ein "Atlas der Schöpfung". Jede Doppelseite ist gleich aufgebaut: Neben Fotografien eines Fisches, Farns oder Hasen wird ein Fossil oder Bernsteinfund gezeigt. Der Begleittext lautet dann etwa: "Dieser Hase (ein Fossil-Foto, das einen halben Schädelknochen zeigt, Anm. d. Red.) lebte vor 38 Millionen Jahren, heute lebende Hasen sehen genauso aus. Hasen haben sich Millionen Jahre nicht verändert, womit sie beweisen, dass Hasen sich nicht entwickelt haben, sondern erschaffen worden sind."

Hallo Nachbar! - Nachbau eines Dinosaurierskeletts im Shanghai Science and Technology Museum. (Foto: Foto: REUTERS)

Derart unterkomplex wird über hunderte von Seiten jedes einzelne Mal derselbe Zirkelschluss wiederholt: Dieser Knochen sieht so aus wie jenes Tier. Ergo hat sich das Tier nicht verändert, ergo wurde es vollendet geschaffen. Conclusio: "Die Schöpfung ist eine Tatsache, die Evolutionstheorie ein großangelegter Schwindel."

Der Autor des Werkes nennt sich Harun Yahya, heißt eigentlich Adnan Oktar und stammt aus der Türkei. Er zitiert in seinen Werken gern den französischen Rechtsextremisten und verurteilten Holocaustleugner Roger Garaudy, und auf seiner Homepage watet man durch das internetübliche Gebräu aus Verschwörungstheorie, Antisemitismus und Größenwahn. Der französische Erziehungsminister Gilles de Robien ließ das Buch verbieten, der Pariser Biologe Herve LeGuyader schrieb in einem Gutachten, das Buch sei "sehr viel gefährlicher als alle bisherigen Initiativen der Kreationisten". Gerade durch seine luxuriöse Aufmachung und die vermeintlich evidenten Bilder könne er "uninformierte Leser und Schüler sehr effektiv überzeugen."

Nun ist dieser geschickte Angriff ein Einzelfall. Und doch... Anfang dieser Woche forderte der Kulturausschuss im Europarat die 47 Mitgliedsländer auf, den Kreationismus nicht als gleichberechtigte Wissenschaftsdisziplin neben der Evolutionstheorie im Schulunterricht zuzulassen. In ihrem Bericht über "Die Gefahren des Kreationismus in der Bildung" warben sie in dringlichem Ton dafür, dass kreationistische Theorien wenn überhaupt, dann nur im Religionsunterricht diskutiert werden. Der Kreationismus behauptet, dass die Entstehung der Welt und des Lebens das Schöpfungswerk Gottes sei und allein auf der Grundlage einer fundamentalistischen - also auf die buchstäbliche Unfehlbarkeit der Bibel pochenden - Interpretation der biblischen Schöpfungsberichte sachgerecht erklärt werden könne.

Immer besser vernetzt

Nun meint man ja gerne, dass der Kreationismus ein amerikanisches Problem sei. In den USA haben es die Kreationisten an vielen Schulen geschafft, ihre Vorstellungen über die Entstehung der Welt im Unterricht zu etablieren. Doch auch in Europa wächst ihr Einfluss. Hierzulande geht man von 1,3 Millionen Evangelikalen aus, die die Bibel wortwörtlich auslegen und folglich auch die wissenschaftliche Evolutionslehre ablehnen.

Die Zahl der Schulverweigerer aus fundamentalistischen Gründen wächst. Neben der Sexualkunde und dem gemischt-geschlechtlichen Sportunterricht ist die Evolutionstheorie eines der Hauptargumente der Eltern, wenn sie ihre Kinder vom Unterricht abmelden. Bernhard Wolf, der Sektenbeauftragte der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, klagt darüber, dass sich allerorten kleine Zentren "fundamentalistischer Extremisten" immer besser miteinander vernetzten, um eigene Schulen gründen zu können.

Anlass für die Befassung des Europarats mit dem Thema Kreationismus waren die zunehmenden Versuche von Politikern in zahlreichen europäischen Staaten, die Schulen für den Kreationismus zu öffnen. Der Ausschuss zitiert kreationismusfreundliche Äußerungen holländischer, polnischer, serbischer und italienischer Bildungsminister.

Und er erwähnt in seiner Auflistung auch, dass der Kreationismusunterricht an einigen hessischen Schulen ministeriell geduldet wurde. Dabei handelt es sich um eine evangelische Privatschule und ein staatliches Gymnasium in Gießen, in denen zumindest bis vor kurzem evangelikale Lehrer die "Schöpfungslehre" unterrichteten. Achtklässler lernten hier, dass "die drei Arten von Menschen von den drei Söhnen Noahs abstammen" und die Sintflut kam, "weil die Menschen so böse waren".

Als dieser Missstand publik wurde, plädierte die hessische Kultusministerin Karin Wolff mit einer seltsamen Logik dafür, im Biologieunterricht auch die Schöpfungslehre der Bibel zu verhandeln, um die Kinder nicht mit unterschiedlichen Theorien im Biologie- und im Religionsunterricht zu verwirren. Der Verband der Biologen warf Wolff daraufhin vor, "die Taschenspielertricks der Kreationisten zu benutzen", da sie gleichwertig von einer Evolutions- und einer Schöpfungstheorie spreche: "Wir haben aber auf der einen Seite wissenschaftliche Tatsachen, auf der anderen einen 2000 Jahre alten christlichen Mythos. Es ist inakzeptabel, die Evolution als Faktum in Frage zu stellen."

Schwelle des Mittelalters?

Doch die Kultusministerin bleibt bei ihrem Votum. In einem Gespräch mit der FAZ diesen Donnerstag tritt sie erneut dafür ein, auch im Biologieunterricht die Schöpfungslehre zu unterrichten. Wolff, die früher selbst Religionsunterricht erteilte und die betont, dass die Bibel für sie "eine Art Koordinatensystem für mein Leben" sei, sieht in der Debatte über die biblische Schöpfungslehre die Chance für "eine neue Gemeinsamkeit von Naturwissenschaft und Religion." Immerhin grenzt sie sich von den Kreationisten ab und trennt klar zwischen der Evolution als wissenschaftlich erwiesener Theorie und der Schöpfungsgeschichte als "symbolhafter Erzählung".

Dennoch ist ihr Vorschlag fatal: Ein Symposium an der Universität Trier zeigte gerade erst auf, wie verschiedene Kreationismusvertreter in die Schulen drängen. Der Biologiedidaktiker Dittmar Graf von der Universität Dortmund betonte dort, dass schon heute "kreationistische Vorstellungen im Biologieunterricht in den Köpfen der Schüler eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen." Wenn Schüler zum ersten Mal mit dem Thema Evolution konfrontiert würden, hätten sie bereits "eine Vielzahl eigener Konzepte generiert, die oft stark mit religiösen Ansichten durchdrungen sind". Für die Biologielehrer werde es immer schwerer, die Schüler überhaupt noch vom Wahrheitsgehalt der Evolution überzeugen zu können. Abgesehen davon wird in keinem Bundesland die Evolutionstheorie vor dem elften Schuljahr unterrichtet. Wer also mit Mittlerer Reife abschließt, wird in der Schule mit der Evolutionsbiologie gar nicht vertraut gemacht. Warum dann auch noch im Biologieunterricht die Schöpfungsgeschichte lehren, wenn diese vom ersten Schuljahr im Religionsunterricht vermittelt wird? Andererseits: Wenn man schon unterschiedliche "Theorien" unterrichtet, warum dann nicht auch die Astronomie durch die Astrologie ersetzen? Oder die Mathematik durch Zahlenmystik?

Tatsächlich sollten sich die Kultusminister eher darum sorgen, was es bedeutet, wenn es demnächst durch EU-weite Regelungen einfacher wird, Bildungseinrichtungen in privater Trägerschaft zu betreiben. Der Politologe Christoph Lammers warnte in Trier davor, dass es dem Staat praktisch unmöglich sei, die Lehrinhalte in solchen Schulen zu kontrollieren; die Privatisierung werde unweigerlich den Kreationismus fördern.

Die Resolution über "Die Gefahren des Kreationismus" wurde im Europarat übrigens von einer knappen Mehrheit vornehmlich christdemokratischer Vertreter abgelehnt. Guy Lengagne, seit zehn Jahren Mitglied des Kultur-Ausschusses sagte, er sei "geschockt" von der Entscheidung, die zeige, "dass wir in Europa an der Schwelle eines neuen Mittelalters stehen und dass so viele Mitglieder des Rats sich dessen nicht bewusst sind."Das mag übertrieben sein. Aber auch der Sektenbeauftragte Bernhard Wolff, der das Anwachsen der evangelikalen Bewegung in Bayern und Deutschland mit wissenschaftlicher Nüchternheit konstatiert, äußert sich "sehr besorgt" über diese Ablehnung, spiegle sie doch die "große Ratlosigkeit, wie wir mit dem Problem des Fundamentalismus umgehen sollen."

© SZ v. 30.6./1.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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