Streit um Berliner Hauptbahnhof:Kriegsfront Bahnhof

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Bahnchef Hartmut Mehdorn und der Architekt des Berliner Hauptbahnhofs Meinhard von Gerkan haben sich geeinigt. Im Streit ging es um eingestürzten Stahl, viel Geld und zähe Männerehre. Insider glauben: Die Bahn muss zahlen.

Hans Leyendecker

Es gibt Papiere, die einen eigentümlichen Geruch verströmen. Wenn man sie liest, denkt man an gepolsterte Türen und altdeutsche Herrenzimmer, in denen noch Zigarren geraucht und Schlachten geschlagen werden. Die Schriftstücke riechen nach einer anderen Welt.

Kyrill war's: Durch den Orkan löste sich ein Stahlriegel am Berliner Hauptbahnhof und stürzte herab. (Foto: Foto: dpa)

Die Nachricht, die am gestrigen Donnerstag unter der mageren Überschrift "Deutsche Bahn und Architektenbüro gmp schließen Vergleich über Berliner Hauptbahnhof" verbreitet wurde, könnte im fernen China ausgehandelt worden sein, wo übrigens sowohl die Bahn als auch die von dem Hamburger Architekten Meinhard von Gerkan mitgegründete gmp (von Gerkan, Marg und Partner) gute Geschäfte machen.

Gerkans Tränen

Auffällig formelhaft ist die Sprache ("Auseinandersetzung beendet...auf Vergleich geeinigt... Streitthemen beigelegt, Gebot der Vernunft") - was man eben so sagt, wenn man nichts Unvernünftiges, vor allem aber nichts Konkretes sagen will. Die Regeln, nach denen solche Schriftstücke verfasst werden, sind klar: Es darf öffentlich keinen Sieger und vor allem darf es keinen Verlierer geben. Bahnchef Hartmut Mehdorn und Gerkan "betonen Gemeinsamkeiten", steht in der Unterzeile. Auch bei Kommuniqués aus dem Reich der Diplomatie stören Details nur.

Der Leser des als "Presseinformation" ausgegebenen Dokuments braucht eine Weile, um zu verstehen, worum es eigentlich geht. Lange Zeit haben sich die Bahn und das Architekturbüro gestritten wie die Kesselflicker. Man traf sich mehrmals vor Gericht. Am 28. November 2006 etwa hat die 16. Zivilkammer des Landgerichts Berlin die Bahn dazu verurteilt, die gegen Gerkans Willen eingebaute Flachdecke aus den Untergeschossen des Bahnhofs zu entfernen und durch die ursprünglich geplante Gewölbedecke zu ersetzen.

Die Flachdecke war mit dem Bild der Architekten von einer Kathedrale der Mobilität nicht in Einklang zu bringen. Auch vor dem Verkehrsausschuss des Bundestages trafen sich die Kontrahenten. Der Streit ging so weit, dass dem erfahrenen 72-jährigen Gerkan im Parlament die Tränen kamen.

Absolute Vertraulichkeit

Am 18. Januar 2007 steigerte sich der Streit zum Orkan. Der hieß Kyrill und wütete über Berlin. Aus der Fassade des rund 700 Millionen Euro teuren neuen Hauptbahnhofs löste sich ein zwei Tonnen schwerer Stahlriegel, was zu einer Katastrophe hätte führen können. Architekt Gerkan wies damals darauf hin, dass die Bahn bei diesem Projekt die "Regie" übernommen und der gmp, dem hierzulande wohl einflussreichsten Architekturbüro, schon 2003 die "Bauüberwachung" entzogen habe. Mehdorns Leute seien von der ursprünglichen Planung abgewichen. Es gab überhaupt viel Zank und Streitereien um fehlende Ohrenbleche und das Gesamtkunstwerk Bahnhof.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wieviel die Bahn wahrscheinlich zahlen muss.

Aber hinter den Kulissen hatten längst die Vergleichsverhandlungen begonnen. Bei dem jahrelangen Gang durch die Instanzen, das war beiden Kontrahenten klar, wäre noch manches Ohrenblech durch die Luft geflogen.

Jetzt also endlich kann mitgeteilt werden, dass die Feindseligkeiten zwischen der Bahn, dem Wüterich Hartmut Mehdorn vor allem, und der gmp, dem Künstler Meinhard von Gerkan vor allem, ab sofort eingestellt werden. Konkrete Informationen wie ausgehandelte Zahlen der Vereinbarung oder auch nur Nuancen der Verabredung erfährt der Leser der sogenannten "Presseinformation" nicht. Halboffiziell ist nur zu erfahren, die Kontrahenten hätten sogar vertraglich Stillschweigen und absolute Vertraulichkeit vereinbart. Es gebe auch eine Vergleichsvereinbarung, aber nicht mal von deren Existenz dürften Außenstehende erfahren. Es gibt sie wirklich, in vier Ausfertigungen, die vertraulich sind.

Die Rechnung zahlt die Bahn

Jeder mauert auf eigene Rechnung. Weder das furchtsame Architekturbüro gmp und seine Anwälte noch die wichtige Bahn und ihre Anwälte wollten und wollen über das Ergebnis en detail reden.

Glücklicherweise hat ein Bahninsider, dem die Geheimnistuerei "zuwider ist", der aber anonym bleiben möchte, bei mehreren vertraulichen Treffen die Diskretion nicht strikt wahren wollen. Der Whistleblower erklärte: Die Verhandlungen seien so schwierig gewesen, weil Mehdorn "keinen Gesichtsverlust" wollte. Selbst hochrangige Vermittler der Bundesregierung habe der Bahnchef abblitzen lassen. Am Ende zahle die Bahn kräftig. Abgesehen davon, dass das für Gerkan erfreuliche Urteil des Landgerichts Berlin rechtskräftig werde, flösse an gmp ein hoher einstelliger Millionenbetrag als zusätzliches Honorar. Es soll sich um knapp acht Millionen Euro handeln.

Kräftig was auf die Ohrenbleche

Immerhin wird in der Presseinformation eingeräumt, dass die Bahn einen "Vergleichsbetrag" an die von gmp neu gegründete Stiftung zahle, die eine "Academy for Architectural Culture" (AAC) betreiben wird. Die AAC soll sich um die Aus- und Weiterbildung hochtalentierter Studenten und Absolventen kümmern. Gerkan dankt denn auch in dem Kommuniqué für "erhebliche Zuwendungen", von sechs Millionen Euro ist die Rede. Damit sollen alle Rechtsstreitigkeiten beendet werden.

Die umstrittene Flachdecke darf bleiben, die Gründe, die vor einem Jahr zum Absturz des Stahlträgers führten, werden in einem so genannten selbständigen Beweisziehungsverfahren geklärt. Offen bleibt auch der alte Streitpunkt, die Verkürzung des Ost-West-Daches des Hauptbahnhofs: Ein vom Bundesverkehrsministerium eingesetzter Ausschuss kümmert sich um die Angelegenheit.

"Segensreich", so der Informant, sei die Rolle des Bahn-Vorstands Otto Wiesheu gewesen. Dieser habe als "Vermittler zwischen den Kriegsfronten" agiert. Ein seltsamer Begriff eigentlich. Krieg, Front - ging es nicht um einen Bahnhof und Bleche? Vermutlich ging es um viel mehr. Um Männerehre vor allem.

© SZ vom 25.1.2008/kur - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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