Streit bei der "Berliner Zeitung":Chronik eines Niedergangs

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Gestrichene Stellen und schluchzende Redakteure: Der Konflikt zwischen der Redaktion der Berliner Zeitung und dem Investor David Montgomery spitzt sich dramatisch zu.

Caspar Busse

Ein ungemütlicher Wind weht an diesem Februartag durch die Karl-Liebknecht-Straße am Alexanderplatz in Berlin. Hier steht das schmucklose Gebäude des Berliner Verlags. Die langen, weißen und viel zu schmalen Flure haben trotz der vielen Renovierungen noch das alte Ost-Flair. Die Stimmung bei den Redakteuren auf den vielen Etagen ist schlecht.

Das Redaktionsgebäude am Alexanderplatz: Ein kühler Wind weht durch die Flure. (Foto: Foto: dpa)

Im elften Stock - hier sitzt die Verlagsleitung - geht es nach der code-gesicherten Glastür nach links, ganz am Ende des Flures residiert Josef Depenbrock, Chefredakteur der Berliner Zeitung und in Personalunion Geschäftsführer des Berliner Verlags. Aus seinem Eckbüro geht der Blick weit über die Stadt. Gerade hat Depenbrock noch die morgendliche Konferenz geleitet, jetzt ist er in einer wichtigen Besprechung. "Nein, Herr Depenbrock gibt keine Auskünfte, selbst wenn er da wäre", sagt freundlich, aber bestimmt die Sekretärin Dagmar Rother: "Vielen Dank für den Besuch."

In den Etagen über Depenbrock und der Geschäftsführung sitzt die Redaktion - es brodelt. "Wir wollen nicht ausgepresst werden wie eine Zitrone. Es muss hier dringend investiert werden", sagt Regine Zylka, Mitglied des Redaktionsausschusses.

Explosive Stimmung

In der vergangenen Woche ist die Redaktion in einer beispiellosen Aktion an die Öffentlichkeit gegangen. Sowohl an Depenbrock als auch an David Montgomery - der Brite ist mit seiner Medienfirma Mecom seit 2005 Eigentümer des Verlags - haben sie einen öffentlichen Brief geschrieben und ihrer Wut freien Lauf gelassen. Die Redakteure fordern den Rücktritt Depenbrocks und den Ausstieg von Montgomery - das hat es in der deutschen Zeitungslandschaft bisher nicht gegeben. Man kann von einem Aufstand sprechen. Kurzzeitig wurde in der vergangenen Woche sogar diskutiert, die Zeitung nicht erscheinen zu lassen.

Entzündet hat sich der Aufstand eigentlich an keiner großen Sache. Depenbrock hatte in der vergangenen Woche mitgeteilt, er sei sich mit Montgomery einig, dass weiter gespart werden müsse. Vier frei gewordenen Stellen in der Redaktion, darunter die des Chefs der Meinungsseite, würden nicht wieder besetzt. Zudem werde Ewald B. Schulte, Chef des Redaktionsausschusses und seit 16 Jahren bei der Berliner Zeitung, das Blatt verlassen.

"Die Stimmung war auf einmal explosiv", berichtet einer, der in der morgendlichen Konferenz saß. Eine Kollegin brach in Tränen aus, es wurde spontan eine Redakteursversammlung einberufen, zu der 80 Mitarbeiter erschienen. Depenbrock hängte schnell vier Stellenausschreibungen in die Glaskästen der Redaktionsflure aus, doch es war zu spät.

Wechselhafte Geschichte

"Wir sind ein randvolles Fass. Immer, wenn Herr Depenbrock dagegen tritt, läuft es über", sagt Thomas Rogalla, ebenfalls Mitglied des Redaktionsausschusses. Er ist seit 1996 bei der Zeitung, hat davor für die Gauck-Behörde und den SFB gearbeitet. Er ist ein besonnener und eher zurückhaltender Mensch, kein Scharfmacher, der die Stimmung noch zusätzlich aufheizt. Aber auch Rogalla ist jetzt empört: "Wir kämpfen dafür, die Qualität zu erhalten. Es geht um die Substanz." Die von Montgomery geforderte Rendite von 18 bis 20 Prozent sei nicht zu erreichen.

Laut Betriebsrat soll es weitere Einsparungen im "mittleren einstelligen Millionen-Euro-Bereich" geben. Im Berliner Verlag, zu dem auch der Berliner Kurier gehört, arbeiten 920 Mitarbeiter. Viele Journalisten haben das Blatt zuletzt verlassen, jetzt geht angeblich auch der Personalchef Felix von Selle.

Im Konferenzsaal in der 14. Etage hängen an den Wänden noch die schon leicht vergilbten Entwürfe für eine Sonntagsausgabe der Berliner Zeitung - wie eine Reminiszenz an bessere Zeiten. Das Projekt machte einst große Hoffnungen, wurde dann aber beerdigt. Hier wird nun bei Bier und Gulaschsuppe schon seit Monaten immer häufiger Ausstand gefeiert, wenn Kollegen das Blatt verlassen. "Aussegnungshalle" heißt der Konferenzraum deshalb in der Redaktion.

Nun ist es keineswegs so, dass der Niedergang der Berliner Zeitung, die zu DDR-Zeiten keine Schiffe abbilden durfte, weil das nach Ansicht der DDR-Führung das Fernweh fördern könnte, überraschend kommt. Die Entwicklung seit 1990 ist wechselhaft wie bei kaum einem anderen Blatt. Nach der Wende wurde die SED-Bezirkszeitung wie so vieles im Osten verkauft, daran beteiligt war der damalige PDS-Chef Gregor Gysi, der sich nun aber nicht mehr zur Geschichte der Berliner Zeitung äußern möchte.

1990 kam Erich Böhme als Herausgeber. Der frühere Spiegel-Chef hatte ganz große Pläne, wollte die Zeitung aus der Hauptstadt zu einer Washington Post für Deutschland machen, doch daraus wurde nichts. Berlin wurde nicht Washington, die Konkurrenz der Zeitungen in der Stadt war hart. Gruner + Jahr investierte zwar, baute auf, holte teure Journalisten. Doch dann wollte auch das Hamburger Verlagshaus eine Rendite sehen.

Irgendwann wurde der Berliner Verlag an Holtzbrinck weitergereicht, der von Synergien mit seinem Tagesspiegel träumte. Doch das Kartellamt untersagte den Verkauf. Holtzbrinck übernahm nie die Regie bei der Berliner Zeitung. Das Blatt dümpelte im Niemandsland vor sich hin. Dann machten sich die Stuttgarter auf die Suche nach einem Verkäufer - und fanden David Montgomery.

Keine Heuschrecken-Plage

Der Aufschrei war groß. Der damalige Chefredakteur Uwe Vorkötter und die Redakteure stemmten sich gegen den Verkauf. Im Oktober 2005 druckte die Berliner Zeitung auf der ersten Seite eine Asterix-Karikatur. Obelix kommt da mit leeren Händen angelaufen und ruft: "Schaut mal, was so eine Heuschrecke mit Idefix gemacht hat." Noch heute hängen an den Türen Aufkleber mit einer durchgestrichenen Heuschrecke.

Alles half nichts. Montgomery kam, sah und siegte. "Wir haben damals die Renditeerwartungen von Montgomery gekannt. Wir wussten, dass die Qualität des Blattes drastisch leiden würde", sagt heute Brigitte Fehrle, frühere stellvertretende Chefredakteurin und nun bei der Zeit. "Die Zeitung wird richtig kaputt gespart", meinen ehemalige Mitarbeiter. Quer durch das Blatt sei ein Leistungsabfall zu beobachten. "Intellektuelles und kreatives Potential" sei verloren.

"Unser Hauptproblem sitzt in London", sagt Redakionsausschuss-Mitglied Zylka. "Wir brauchen wieder Einstellungen." Es fehle ein publizistisches Konzept. Auch in das Redaktionssystem müsste investiert werden. Dabei ist Montgomery nicht einmal eine echte Heuschrecke wie etwa Permira oder KKR, die sich gerade bei Pro Sieben Sat 1 versuchen. Montgomery ist gelernter Journalist, Mecom investiert vor allem in Zeitungen.

Geschäftschefredakteur Depenbrock versucht, die Krise auszusitzen. Er brauche das Vertrauen der Redaktion nicht, sagte er intern. Wer gehen wolle, könne gehen, so berichten es zumindest Redakteure. Dabei bringe sich der frühere Chefredakteur der Hamburger Morgenpost angeblich kaum in das Tagesgeschäft ein.

Er habe, heißt es unter Redakteuren, die Redaktion auf "Autopilot" gestellt: "Der schlendert nachmittags an den fertigen Seiten vorbei, schaut drauf und geht wieder." Auch als guter Kommentarschreiber ist er bisher nicht aufgefallen. Nun will er sich aber wieder ein Büro in der Redaktion einrichten. Er hat Oliver Tom Röhricht von der Bild am Sonntag als stellvertretenden Chefredakteur geholt. Am Mittwoch stellte Röhricht sich offiziell vor. Kein leichter Tag für ihn.

Eine Perle, keine Kette

Die Fronten sind verhärtet. Montgomery ist zwar zu Gesprächen bereit, wenn in der kommenden Woche ein neuer Redaktionsausschuss gewählt worden ist, wie er per E-Mail mitteilte. Ob er auch Zugeständnisse machen wird, ist unwahrscheinlich. Verkaufen, wie manche bei der Berliner Zeitung insgeheim hoffen, wird er vorerst sicher nicht. "Wir Medienleute stehen vor dramatischen Umbrüchen, und da müssen die Umbrecher akzeptieren, dass sie auch kritisiert werden," sagte er dem Magazin Cicero. Seine Strategie, in Deutschland eine "Perlenkette" von Regionalzeitungen zu knüpfen, ist bisher nicht aufgegangen.

In der kommenden Woche soll es nun weitergehen. Am Donnerstag gibt es eine Betriebsversammlung. Zudem will der Redaktionsausschuss eine Feststellungsklage beim Arbeitsgericht Berlin einreichen, weil die Doppelfunktion Depenbrocks als Chefredakteur und Geschäftsführer nicht haltbar sei. Das ist im Redaktionsstatut zwar nicht ausdrücklich festgehalten, aber es entspreche nicht dem Geist des Statuts, so die Argumentation.

Viele fürchten aber auch, dass der gute Ruf der Berliner Zeitung leiden könnte. Schon gehen besorgte Leserbriefe ein, obwohl die Zeitung selbst gar nicht über den Streit berichtet. In dieser Samstagsausgabe sollen erst einmal Stellenanzeigen für neue Redakteursjobs erscheinen - zum nächstmöglichen Zeitpunkt.

© SZ vom 23./24.2.2008/kur - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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