Strafmaßnahmen für Jugendliche:Leviten lesen

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Schiller statt Schnee schippen: Ein Richter in Fulda verurteilt jugendliche Straftäter nicht mehr zu gemeinnütziger Arbeit - er lässt sie stattdessen Bücher lesen.

Marc Widmann

Er liebt den Jazz, und auch sonst ist der Fuldaer Jugendrichter Christoph Mangelsdorf ein kreativer Mann. Wenn wieder ein Jugendlicher vor ihm sitzt, der beim Prügeln oder betrunken auf dem Mofa erwischt wurde, verhängte Mangelsdorf bislang oft 20 bis 30 Arbeitsstunden Strafe. Aber so richtig zufrieden war er damit nicht. Besonders, wenn er das Gefühl hatte, dem Täter gehe die Gerichtsverhandlung "über den Kopf hinweg". Solche Jugendliche leisten zwar ihre Arbeitsstunden ab, danach aber machen viele weiter wie vorher. Mangelsdorf wollte wissen, wie er die Köpfe dieser Ersttäter erreicht, immerhin ist das auch sein Auftrag laut Gesetz: Er soll nicht nur strafen, er soll vor allem erziehen. So kam der Richter auf die Bücher.

Wer gemobbt wird, muss Evil lesen

Seit kurzem verhängt Mangelsdorf bei einigen handverlesenen Ersttätern keine Arbeitsstunden im Tierheim mehr. Wenn ihm der Jugendliche geeignet erscheint, darf er stattdessen einen Jugendroman lesen, freiwillig. Natürlich nicht irgendeinen. 14 Titel hat der Fuldaer Richter auf einer Liste versammelt. Wer zum Beispiel in der Familie Probleme hat, in der Schule gemobbt wird und selbst gewalttätig ist, dem setzt der Richter vielleicht Evil von Jan Guillou vor. Das Buch ist nicht einfach, erzählt Mangelsdorf, es geht darin "um starke Gewalthandlungen in einem Internat". Beschrieben werden aber nicht nur die Angriffe, sondern auch, was sie bei den Opfern auslösen.

Drei bis sechs Wochen bekommt der Täter, um den Roman zu lesen. In dieser Zeit muss er einen Aufsatz schreiben und dabei Fragen wie diese beantworten: Welche Parallelen gibt es zu meinem Leben? Wie hat sich die Hauptfigur verhalten? Was hätte ich an ihrer Stelle getan? Zuletzt folgt ein ausführliches Gespräch mit einem Mitarbeiter der Jugendhilfe. 15 Jugendliche wurden in diesem Jahr so zum Lesen verdammt. Und schon jetzt sagt Bettina Lenz: "Es hat sich gelohnt."

Die Sozialpädagogin dürfte es wissen, denn sie betreut bei der Jugendhilfe Fulda die straffälligen Täter und spricht mit ihnen über die Romane. "Die meisten haben sich wirklich in den Büchern wiedergefunden", sagt Lenz. Einer lieferte statt der geforderten fünf gleich 13 Seiten ab. Ein anderer will jetzt gar selbst ein Buch schreiben. Auch das ist ein Ziel des Versuchs. Er soll nicht nur zum Nachdenken zwingen, sondern auch Phantasie und Leselust anregen.

"Ein Buch zu lesen ist erzieherisch wesentlich sinnvoller als im gemeinnützigen Verein Schnee zu schippen", sagt Marita Erfurth. In Dresden koordiniert die Sozialpädagogin ein ganz ähnliches Projekt, das junge Ersttäter bereits seit 2008 zum Lesen bringt. Es diente dem Fuldaer Richter als Vorbild. Mittlerweile 80 Titel finden sich im Dresdner Bücherkanon. "Für unsere Jugendlichen ist das Lesen eine richtige Anstrengung", sagt Erfurth, "erst maulen sie meistens".

Danach aber lassen sich beeindruckende Wandlungen erleben. Zum Beispiel die eines 17-Jährigen aus schwierigem Elternhaus. In der Schule hatte er zwei Mädchen belästigt, sich vor ihnen entblößt. "War doch nur Spaß", sagte er lange. Dann bekam er das Buch Leichte Beute von Maureen Stewart vorgesetzt. Um Mobbing in der Schule geht es darin, um die Gefühle der jungen Melissa, die ständig angegangen und angemacht wird. "Er hat sich sehr große Gedanken gemacht", sagt Erfurth über den Täter. Er brauchte lange, um das Buch zu lesen, und Hilfe beim Beantworten der Fragen. Als er es endlich geschafft hatte, schrieb er seinen Opfern einen Entschuldigungsbrief. Völlig freiwillig.

© SZ vom 16.04.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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