Stones "Alexander":Alexander mit Soße

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Ein Eroberer, der rockt: Oliver Stone hat es fertig gebracht, seinen eigenen Wahnsinn in die Form eines Sandalenfilms zu gießen. Die Frage bleibt, wer am Ende die wirklich herbe Niederlage erleidet.

TOBIAS KNIEBE

Der Druck ist gewaltig, von Anfang an. Misstraue deinem Vater, flüstert die Mutter dem Knaben zu, er ist ein Tyrann und Barbar, er bringt dir Verderben, die Verschwörer lauern schon, sie werden dich töten und mich gleich dazu, und eigentlich bist du sowieso der Sohn des Zeus.

Keine Angst, Kinder! Ist alles nur Film, nicht echt. Aufnahme von den Dreharbeiten zu "Alexander". (Foto: N/A)

Glaub' ihr kein Wort, sagt der Vater, Frauen sind Schlangen und Zauberinnen, gefährlicher als jeder Krieger. Könige werden nicht geboren, sondern gemacht - aus Stahl und Leid.

Sagt's und zeigt dem Sohn eine Höhle mit Felsmalereien, wo die Helden des Mythos ihre ewigen Qualen leiden. Prometheus, Ödipus, Medea: Opfer der Hybris, bestraft von den Göttern.

Der Osten wird dir Verderben bringen, predigt Aristoteles, der Lehrer - jawohl, er ist es wirklich, ein weiser Hausphilosoph, aber nicht Weisheit ist hier sein Programm, sondern Angst vor dem Fremden. Zeuge einen Nachfolger, wispert schon wieder die Mutter, Liebe unter Knaben ist schön und gut, doch nur ein Sohn kann deine Herrschaft sichern... Und Alexander, der noch nicht ganz so Große, blickt flehend und scheint einen stummen Schrei zum Himmel zu schicken: Shut up! Ich habe hier einen Job zu erledigen, und die Zeit ist schon reichlich knapp.

Wohl wahr. Die Größe dessen, was dieser größte Feldherr der Geschichte in wenigen Jahren erreichen muss, nimmt einem bis heute den Atem: Zusammen mit dem Vater die griechischen Stadtstaaten besiegen und vereinigen, die Phalanx seiner Speerträger zu einer unbesiegbaren Kriegsmaschine formen, mit 40000 Mann gegen 250000 Perser antreten und glorreich gewinnen, Babylon und den unvorstellbaren Reichtum des Ostens einnehmen, die besiegten Völker nicht versklaven, sondern zu Verbündeten machen, Gesetze und Logistik eines Großreichs erfinden, haufenweise Städte gründen, sich in Ägypten zum Pharao krönen lassen, immer weiter nach Osten ziehen, mehrmals heiraten, mit ungezählten Frauen, Knaben und Eunuchen schlafen, echte oder vermeintliche Aufstände niederschlagen, alte Mitstreiter hinrichten und immer noch weiter vorrücken, die ganze bekannte Welt erobern und auch noch die unbekannte, zum Beispiel Indien, wo sein Heer schließlich im Dschungel stecken bleiben wird, und dann, gerade mal 33 Jahre alt, im Jahr 323 v. Chr. sterben und eine sexy Rockstar-Leiche hinterlassen.

Live fast, die young, das hat nach ihm keiner mehr so überzeugend hingekriegt.

Wenn der nicht zum Filmhelden taugt, wer dann? Und da ist er wieder, der Druck. Diesmal auf Oliver Stone. Du bist der Einzige, der einen Film von dieser Größe machen kann, Größe ist dir nicht fremd, flüstert der Produzent Thomas Schühly, der die Idee zuerst an ihn heranträgt. Du hast schon länger keinen Film gemacht und schon ewig keinen Blockbuster mehr, sagt Moritz Borman, Hüter über ungezählte Filmfonds-Millionen, aber du bist einer der Besten, wir vertrauen dir, und wenn du die Chance willst, dein Werk mit "Alexander" zu krönen - hier ist sie. Ich hab auch einen Alexanderfilm in der Mache, höhnt Dino de Laurentiis, der große Gegner, mit Leonardo Di Caprio und Baz Luhrmann, und wenn du nicht verdammt alt aussehen willst, schreibst du beim Drehbuch besser um dein Leben.

Denk an die Möglichkeiten, raunt der innere Dionysos, der Mann als ewiger Krieger, der Rausch der Eroberung, die Harems von Babylon, die rohe Gewalt des Vaters, das schamanische Gift der Mutter... Aber halt, mahnt der innere Apoll: Wie diesen Stoff überhaupt bändigen, den Wahnsinn in eine Form zwingen, den Zuschauer nicht völlig verlieren?

Man sieht Oliver Stone fast vor sich, wie er die Haare rauft und verzweifelt um Konzentration ringt: Shut up!

Nach allem, was wir wissen von diesem Mann, hätte es funktionieren können. Weil es eben zwei Stones in seiner Brust gibt, die seit jeher um die Vorherrschaft kämpfen. So hat er es selbst einmal erklärt: Da gibt es William Stone, so lautet sein zweiter Vorname, der Sohn des Vaters, amerikanisch durch und durch. Bill Stone, Stoney, der Mann der Form, der große Pragmatiker, der Taktiker der Macht. Öffentlich wird er kaum wahrgenommen, aber wirkmächtig war er immer: Er ist der, der alle Verschwörungstheorien um "JFK" nehmen kann und daraus noch einen halbwegs kohärenten Film schmiedet, der den Geschichten einen Anfang und ein Ende gibt, der immer noch fertig wird, Termine einhält, Verträge erfüllt.

Und dann gibt es Oliver, oder besser, ganz weich und französisch ausgesprochen: Oliverre... Der Sohn der Mutter, einer wunderschönen französischen Mutter, von der er erklärtermaßen bis heute besessen ist. Oliverre verliert sich in seinen Phantasien, sucht den ewigen Rausch, erliegt der Verlockung des Weibes, er ist der Paranoiker, der Maniac, was ihr wollt.

Man kann nur staunen, wie ungefiltert diese beiden Seiten nun auch in Alexanders Brust kämpfen. Oliver Stone inszeniert hier seinen persönlichsten Film - und verpflanzt sich selbst in den jungen Colin Farrell hinein, der oft so aussieht, als wisse er gar nicht, wie ihm da geschieht.

Alles ist drin in diesem Epos, was man erwarten kann und darf: Die großen Schlachten, mit Kriegern und Reitern bis zum Horizont, selbst ein Adler braucht seine Zeit, um über diese Armeen zu fliegen; die Opulenz der Ausstattung, von den Tempeln Mazedoniens über die Hängenden Gärten von Babylon bis zu den indischen Kriegselefanten; die gewaltigen Landschaftspanoramen, die sich vor den Eroberern auftun; die Strategie-Runden, wo Taktik beschlossen und Angriffe geplant werden; die aufpeitschenden Worte vor der Schlacht, die sich wie immer an Shakespeare orientieren; schöne Jünglinge, die sich schmachtende Blicke zuwerfen und dann doch nicht zur Sache kommen; schöne Frauen, die umso erotischer inszeniert werden - und ja, sogar eine Nahtod-Sequenz in psychedelischen Falschfarben, und am Ende eine Citizen-Kane-Enthüllung auf dem Sterbebett: Es gab eben doch nur eine große Liebe, den Jugendfreund und treuen Gefährten Hephaistion...

Und doch: Etwas gerät hier dramatisch aus der Bahn. Was da genau passiert, ist einigermaßen rätselhaft, nur das Ergebnis lässt sich beschreiben: Die Kräfte von Hysterie, Chaos, Exzess und hemmungslosem Overacting, die auf der Oliverre-Seite von Stones Persönlichkeit wirken, sind machtvoller denn je vorhanden; genauso spürt man die Kraft seiner William-Seite, die immer wieder um Erklärungen ringt, Schneisen der Dramaturgie durch den Stoff schlägt, erkennbar auch den Regeln des Markts gehorchen will.

Nur leider kommt kein wirklicher Clash zustande, keine Entladung von widerstreitenden Energien. Es ist, als hätten sich die beiden Gegner in Stones Kopf schon früh aus den Augen verloren, als kämpften sie nicht mehr gegeneinander, sondern allein und verloren, zunehmend schrill und brachial gegen das große, formlose Nichts des Scheiterns an.

Ein faszinierendes Spektakel, ganz gewiss, und auf keinen Fall ein banaler Misserfolg - aber angesichts der Millionen, die hier verbraten, und der erzählerischen Naturgewalten, die beschworen wurden, am Ende doch eine enorme Niederlage.

ALEXANDER, USA/GB/D 2004 - Regie: Oliver Stone. Buch: O. Stone, Christopher Kyle, Laeta Kalogridis. Kamera: Rodrigo Prieto. Schnitt: Tom Nordberg, Yann Herve. Musik: Vangelis. Mit: Colin Farrell, Angelina Jolie, Val Kilmer, Anthony Hopkins, Rosario Dawson, Jared Leto. Constantin, 173 Minuten.

© SZ v. 22.12.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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