Stimmwunder Tom Waits:Knarz, Gurgel, Lall

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Seine Fans lieben gerade das Abgründige an ihm. Dem wird Tom Waits mit seinem neuen Live-Album gerecht. Aber kann er auch singen?

Christian Mayer

Der Mann kann dichten, gerade in den dunkelsten Stunden. In seinen Liedern erzählt er traurige, manchmal herrlich absurde Geschichten von der Nachtseite des Lebens; die kaputte Existenz ist bei ihm von einer merkwürdigen Schönheit, auf die er sich immer einen Reim machen kann. Aber kann er auch singen? Viele Kritiker haben sich an der Stimme von Tom Waits abgearbeitet: Krächzt er nun wie einer der Raben, die in seinen Liedern auftauchen? Lallt er aus tiefster Seele? Gurgelt er infernalisch, knarzt er wie ein alter Holzboden, jammert er wie ein verwundetes Tier? Ein Experte hat das Phänomen so erklärt: Seine Stimme klinge so, als habe sie ein paar Monate in einem Whiskey-Fass gelegen, sei dann geräuchert und zuletzt von einem Auto überfahren worden. Da kann man schon den Blues kriegen.

Tom Waits begann seine Karriere in einem Nachtclub in San Diego als Entertainer. Dort kostete er seine Trunkenheitserlebnisse auf der Bühne aus. (Foto: Foto: dpa)

Seine Fans lieben gerade das Abgründige an Tom Waits, der mit seinem neuen Album "Glitter and Doom" diesem Ruf gerecht wird. Wie viele seiner Texte ist auch der Titel dieses Live-Albums mit Konzertmitschnitten von einer Europa-Tournee 2008 nahezu unübersetzbar: Glanz und Untergang, Funkeln und Verhängnis - so ungefähr würde es auf Deutsch heißen. Doch das Original ist immer stärker.

Geboren wurde der Künstler, der am 7. Dezember seinen 60. Geburtstag feiert, im Sonnenstaat Kalifornien. Die Legende will es, dass der Lehrersohn sich das Klavierspielen in der Wohnung eines Nachbarn selbst beibrachte, so wie er später alle möglichen Instrumente auf seine ganz eigene Weise erlernte. Als junger Mann spülte er Geschirr in einer Pizzeria, vor allem aber beschäftigte er sich mit der Literatur der Beat Generation. In einem Nachtclub in San Diego begann seine Karriere als Entertainer, der seine Trunkenheitserlebnisse auf der Bühne auskostete und die Welt der Stripperinnen und Spieler besang.

"Closing Time" hieß seine erste Platte, die er in nur zehn Tagen im März 1973 aufnahm. Die Kunstfigur Tom Waits hat sich seitdem kaum verändert, obwohl er längst nicht mehr säuft wie ein Loch. Seine schwarzen, zerschlissenen Sakkos, den Bowler-Hut, die klobigen Schuhe trägt er bis heute; noch immer singt er herzergreifend von den Verlorenen und Verwundeten wie in seinem berühmten Song "Tom Traubert's Blues". Allerdings ist der Sound seit der Veröffentlichung seines ersten selbstproduzierten Albums "Swordfishtrombones" härter geworden, was damit zusammenhängt, dass er alle möglichen Geräusche in seine Arrangements mischt.

Ein Mann mit so vielen Kanten ist natürlich für das Filmgeschäft interessant. Als Hauptdarsteller und Drehbuchautor wirkte Tom Waits in Jim Jarmuschs Klassiker "Down by Law" mit, es folgten unzählige Auftritte in Kinofilmen, für die er oft auch die Musik schrieb. Einer seiner größten Erfolge war das Theaterstück "The Black Rider", das 1993 am Thalia Theater in Hamburg uraufgeführt wurde - eine Persiflage auf die Oper "Der Freischütz", bei der, was Waits besonders gefällt, der Teufel seine Hand im Spiel hat. Inzwischen müssen die Fans lange warten, bis der Vielbeschäftigte wieder einmal selbst die Bühne betritt - dann aber gurgelt und lallt er wie eh und je.

© SZ vom 21.11.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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