"Stimmen aus Syrien":Tanzlehrer im Dunkeln

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Der Schriftsteller Adel Mahmoud reist nach Latakia, um ein Buch zu schreiben. Es ist Februar und kalt. Aber am schlimmsten wird es, als er einen Freund besucht.

Von Adel Mahmoud

Über Syrien wird viel geschrieben: Kriegsverlauf, Geopolitik, Fluchtursachen. Aber wie sehen die Syrer selbst ihr Land? Wir haben Schriftsteller und Intellektuelle in Syrien gebeten, uns Texte und Gedanken zu schicken, so offen wie möglich, so vorsichtig wie nötig. Einer von ihnen ist der 1946 in Latakia geborene Journalist und Schriftsteller Adel Mahmoud, der seit 50 Jahren in Damaskus lebt. Er hat 15 Bücher geschrieben, die meisten davon über den Krieg. Sein neuestes Werk, "Ein Stück Hölle in diesem Paradies", wird gerade ins Französische übersetzt. Für seinen ersten Roman "Bis zur Ewigkeit und einem Tag" wurde er in Dubai mit einem Literaturpreis ausgezeichnet. Die Szenen, die Adel Mahmoud für uns schreibt, sind Fragmente einer zerbrochenen Wirklichkeit, die einzig der Wahnsinn eint. SZ

Es ist leicht, einen Krieg zu beginnen, schwer ihn zu beenden, und unmöglich ihn zu vergessen."

Der Krieg in Syrien dauert an, während Jahr um Jahr verstreicht. In dieser Zeit wurden Städte verwüstet, Menschen flohen, Raketen regneten auf Damaskus, auf die Vororte, auf die Dörfer. Ein Missverständnis an den Checkpoints kann lebensgefährlich sein. Der Tod ist überall.

Die größte Schwierigkeit besteht darin, an die Dinge des täglichen Lebens zu kommen: Essen. Strom. Vor ein paar Monaten entschied ich mich, meinen dritten Roman über die syrische Hölle zu schreiben. Da ich nur in völliger Abgeschiedenheit arbeiten kann, hatte ich beschlossen, an den Küstenort Latakia zu fahren. Ich lieh mir von meinem Bruder die Schlüssel zu seiner Wohnung und brach auf.

Es war Februar, das Wetter war kalt, in Latakia fiel der Strom aus. Alle drei Stunden hatten wir etwa eine halbe Stunde lang Strom - das reicht nicht für den elektrisch betriebenen Heizer, also mussten wir auf eine Gasheizung zurückgreifen. Doch Gas gab es nur auf dem Schwarzmarkt zu enorm hohen Preisen.

Der Aufzug war kaputt und die Wohnung meines Bruders liegt im achten Stock. Ich musste also 93 Treppenstufen steigen - und das bei meiner Raucherlunge. Kurzum: Ich bereute meinen Entschluss. Doch es war längst zu spät zurückzukehren.

Der erste Tag: Ordnung schaffen. Bis heute schreibe ich am liebsten mit schwarzer Tinte auf weißem Papier. Nachdem ich alles sortiert hatte, zog ich los, um mir auf dem Gemüsemarkt in der Stadt was zu essen zu holen und Gasvorräte für meine Elektroheizung zu besorgen.

Danach ging ich auf der Suche nach einer Stirnlampe, wie sie Arbeiter in einem Bergwerk tragen, damit ich die Treppe besser hoch komme und die Gräben auf den Straßen besser sehen kann und nicht in die offenen Gullys stürze, die mich immer an Tierfallen erinnern.

Die Stirnlampe fand ich dann allerdings nicht auf dem Markt, sondern bei einem Freund, ein Arzt, der die Lampe bislang in seiner Praxis benutzt hatte. Sie war "Made in Germany".

Am zweiten Tag hatte ich mich ein wenig an die Wohnung gewöhnt, neben mir lief die Gasheizung, ich saß eingepackt in warmer Kleidung, umhüllt von einer Wolldecke, einer Mütze und der Wirkung von russischem Wodka. Die Stirnlampe der Bergarbeiter war mein Hilfsschreiber.

Die erste Seite meines neuen Buches eröffne ich mit den Worten: "An Adel, der wie Charlie Chaplin den Regen liebt, denn der Regen verbirgt die Tränen." Dann schrieb ich: "Der Mensch unterscheidet sich von der Teekanne insofern, als er kocht, nur weil er weiß, dass er gleich aufs Feuer gestellt wird."

Die Kälte in der Wohnung meines Bruders wurde immer beängstigender. Mein Körper begann zu zittern, auch das zweite Glas Wodka änderte nichts daran. Also schrieb ich ein Zitat von einem unbekannten Autor auf: "Der Beruf des Schriftstellers ähnelt dem des Tanzlehrers, aber er ist ein Tanzlehrer auf einem Quadratmeter Boden, in völliger Dunkelheit und ohne Musik."

Als es irgendwann dann doch eine halbe Stunde Strom gab, schaltete ich den Fernseher an - und hörte wieder einmal schreckliche Nachrichten: Bewaffnete waren in vierzehn Bergdörfer nahe der syrischen Küste eingedrungen. Und sie folgten den historischen Regeln islamischer Eroberungen: "Die Männer sterben oder werden gefangen genommen, die Frauen werden gefangen genommen, und die anderen Dinge sind Kriegsbeute."

Die Wohnung wurde noch kälter, das Schreiben fiel mir noch schwerer, bis die Lust daran ganz verging und ich mich nach einem Freund sehnte. Ich rief einen meiner alten Gefährten im selben Haus an, aber er nahm den Hörer nicht ab. Ich stieg die Treppen hinunter mit meinem Hilfsschreiber, also meiner Stirnlampe, und erreichte den siebten Stock, wo mein Freund wohnte.

Ich hörte traurige Musik, die aus der Wohnung ins Treppenhaus drang. Niemand machte auf.

Am nächsten Tag erfuhr ich, dass die Bewaffneten den Bruder meines Freundes getötet hatten. Sie schickten über Whatsapp ein Foto seines enthaupteten Kopfes.

Aus dem Arabischen von Dunja Ramadan.

© SZ vom 30.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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