Steuersünder-Debatte:Der Kapitalismus bleibt unangetastet

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So viel Antikapitalismus war nie? Die Debatte um Steuersünder verkennt das Gegeneinander der Interessen: Die soziale Einheit gibt es nicht.

Thomas Steinfeld

Wieder einmal beschäftigen sich nicht nur Staat und Politik, sondern große Teile der deutschen Gesellschaft mit einem moralischen Thema: mit der Gerechtigkeit. Endgültig sei, so hört man, der Ruf der deutschen Wirtschaftselite nun ruiniert. Aber endgültig ruiniert soll er schon einige Male zuvor gewesen sein, und der wiederholte angebliche Bankrott hat der Wirtschaftselite bislang nicht erkennbar geschadet.

Diesmal jedoch erweist sich die moralische Kritik an der ökonomischen Elite als besonders zählebig, von der Diskussion über Managergehalter bis hin zur psychologischen Auseinandersetzung mit dem "Narzissmus" der Reichen. Die Dramatisierung ihrer Vergehen wider die soziale Gerechtigkeit durch einen Datendiebstahl in Liechtenstein hat dieser Debatte einen Höhepunkt verliehen.

So viel Antikapitalismus war nie, behauptet angesichts des großen Geschimpfes eine linke Partei. Sie hat aber wenig Grund für diese Annahme. Denn was hat es mit "Antikapitalismus" zu tun, wenn man vermögende Menschen, womöglich unter Einsatz von "Daumenschrauben" (Peer Steinbrück), dazu anhält, ihre Steuern zu bezahlen?

Unaufgeklärt

Um einen Widerstand gegen Kapitalisten geht es schon eher, wenn man denn partout einige Reiche, Unternehmer und Manager unter diesem Namen zusammenfassen möchte. Der Kapitalismus hingegen bleibt unangetastet, wenn ein jeder dem Finanzamt gibt, was dieses von ihm erwartet. Ja, die gesamte Debatte um soziale Gerechtigkeit hat - wie die dazugehörige, psychologisch geführte Nebendebatte um "Gier" - geradezu das Gegenteil von Antikapitalismus zum Ziel: Denn sie beschwört ja gegen die Steuerflüchtlinge nicht einmal in der Linkspartei eine Systemalternative, sondern nur wieder das Ideal der sozialen Marktwirtschaft. Und es ist charakteristisch, dass dieses Ideal nur angerufen wird, ohne dass eine begriffliche und historische Rückbesinnung auf ihren Entwurf in der deutschen Nachkriegsgesellschaft die Debatten bestimmte.

Dieses unaufgeklärte Ineinander des Redens über den Kapitalismus und der Nörgelei über einige Kapitalisten aber hat Folgen: In der Konzentration auf das moralische Gebot, auf die Gerechtigkeit, in der Beschwörung der Einheit aller Steuerzahler, verschwinden alle tatsächlichen Unterschiede, verschwindet das Gegeneinander der Interessen, von dem die Marktwirtschaft lebt. Suggeriert wird eine soziale Einheit, die gar nicht existiert.

Ein Mensch, der dem Finanzamt nicht entkommen kann, weil er abhängig arbeitet und allseits rechenschaftspflichtig ist, befindet sich gegenüber dem Staat in einer völlig anderen Position als ein anderer, der seinen Lebensunterhalt damit bestreitet, in großem Umfang abhängige Arbeit zu organisieren, zu kontrollieren und ihre Nutzung der größtmöglichen Effizienz zuzuführen.

Kein Zweifel

Der eine produziert hauptsächlich Kosten, während der andere die Gewinne verantwortet - weshalb er an ihnen beteiligt wird. Der eine geht arbeiten, bei dem anderen gehen Beruf und Persönlichkeit nicht zufällig immer wieder eine innige Verbindung ein: Denn ob sich jemand in der Sphäre des höheren Managements durchsetzen kann, hat tatsächlich etwas mit einem Charakter zu tun, der keinen Zweifel an und über sich duldet.

Das ist Gemeinwissen, und doch scheint es gelegentlich verlorenzugehen. Denn sitzen wir nicht, wie man nicht müde wird zu behaupten, alle in einem Boot? Nein, das tun wir nicht, und auf die jüngsten Steuerbetrügereien werden die nächsten folgen, und wenn das eine Liechtenstein zerstört sein wird, wird es ein anderes geben. Auch das ist Gemeinwissen, und wenn über dessen Härte auch zuweilen das Versprechen des Egalitären hinweggetröstet haben mag, so ließ sich das Bewusstsein des Konflikts doch stets wieder rasch mobilisieren.

Und nehmen sich angesichts dessen die Bemühungen, die Einheit des Boots mit allen nur möglichen Mitteln herzustellen - vom Bundesnachrichtendienst bis zur persönlichen, dauerhaften Bloßstellung - schon ungewöhnlich aufwendig aus, so gilt dies in noch höherem Maße für die öffentliche Empörung über den "Ruin" der Elite und die "antikapitalistische" Erregung rhetorischer Sozialisten.

Das liegt vor allem daran, dass das Versprechen des Egalitären, für alle erkennbar, zu einer höchst unsicheren, unhaltbaren Angelegenheit geworden ist. Die soziale Marktwirtschaft kennt vor allem eine Form der Bewegung: das Gleiten. In Deutschland glitten in den vergangenen Jahrzehnten die meisten Menschen nach oben, sachte, aber irgendwie vorhersehbar. Und wer sich nicht behaupten konnte, der stürzte nur selten - auch er glitt dahin, auf einer mehr oder minder schrägen Fläche. Mit dieser Stetigkeit ist es vorbei.

Das erkennt man an den jüngsten Provokationen staatsbürgerlichen Gerechtigkeitsempfindens, mit denen nicht zufällig alle Diskussionen über eine Rehabilitierung der sozialen Marktwirtschaft beendet wurden: Denn was da hochkam, von Ackermann über Hartz bis Zumwinkel, ist nicht an den Rändern des Wirtschaftslebens zu Hause, sondern in seiner Mitte. Es sind die schwarzen Löcher im Zentrum des Gemeinwesens, die so beunruhigend sind - und je tiefer und schwärzer sie werden, desto größer werden die Anstrengungen, eine Fiktion von Gerechtigkeit aufrechtzuerhalten.

© SZ vom 27.2.2008/rus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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