Hörbuch "Vom Aufstoßen der Fenster":Wurzeln eines Heimatlosen

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Daniel Moheit, Robert Stadlober und Klara Deutschmann (v. l.) haben Stefan Heym zu Ehren eine Band gegründet. (Foto: Katja Feldmeier)

Der Schauspieler Robert Stadlober hat sich in die frühen Gedichte von Stefan Heym verliebt - und den schweren Stoff mit einer dreiköpfigen Band federleicht vertont.

Von Stefan Fischer

Stefan Heym war einer der wichtigsten Romanciers der DDR. Man muss daran erinnern, weil seine Werke, etwa "Der König David Bericht", "5 Tage im Juni" oder "Ahasver", inzwischen so wenig präsent sind wie seinerzeit im selbsternannten Arbeiter-und-Bauern-Staat. Dort wurden sie entweder gar nicht verlegt oder nur in kleinen Auflagen. Heym, der vor dem NS-Regime in die USA geflohen war und auch die amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen hatte, übersiedelte 1953 in die DDR, wo er zunächst als Antifaschist hofiert worden ist. Doch Heym und die Staatsführung haben sich sehr rasch auseinander gelebt.

In der alten Bundesrepublik wurde Heym hingegen fleißig verlegt. Auch heute, 20 Jahre nach seinem Tod, gibt es viele seiner Bücher nach wie vor zu kaufen. Doch Bestseller sind sie nicht. Umso erfreulicher ist es, dass Stefan Heym auf ganz unerwartete Weise einen Auftritt bekommt: als Texter der Indie-Band Deutschmann Moheit Stadlober.

Der Schauspieler Robert Stadlober hat 19 Songs komponiert und gemeinsam mit Klara Deutschmann und Daniel Moheit eingespielt. Die Lyriks sind Gedichte Heyms. "Vom Aufstoßen der Fenster" funktioniert wie ein Musikalbum, versteht sich aber explizit als Hörbuch. Im Unterschied zu Masha Qrellas "Woanders". Gemeinsam mit Christina Runge und Diana Näcke hatte die Berliner Musikerin Anfang des Jahres für Deutschlandfunk Kultur ein Hörspiel gleichen Namens realisiert. Und die Songs, die sie dafür komponiert hatte, als Konzeptalbum beim Label Staatsakt veröffentlicht. Die Texte für "Woanders" stammen von Thomas Brasch, eine Generation jünger als Heym, mit der DDR aber noch heftiger über Kreuz als dieser.

Es sind Texte über Migration, Heimatlosigkeit und die Wunden des Ersten Weltkriegs

Ein Trend ist das noch nicht, aber doch bemerkenswert, dass innerhalb kurzer Zeit zwei relevante Autoren der DDR, beide seit zwei Jahrzehnten nicht mehr am Leben, mit ihrer Lyrik nachgeborene Musiker beeinflussen, die darin eine Haltung sowie ein Lebensgefühl erkennen, die sie ansprechen und zu denen sie einen Zugang finden.

"Nichts nahm ich mit mir / als meinen Hass / Den pflege ich nun. Täglich begieße ich ihn", heißt es in dem ersten Song "Ich aber ging über die Grenze". Stefan Heym thematisiert darin seine eigene Flucht im Frühjahr 1933, kurz nachdem die Nationalsozialisten die Macht in Deutschland übernommen hatten und der zwanzigjährige angehende Autor sich nach Prag absetzte. Alle der von Stadlober vertonten Gedichte sind in dieser frühen Phase entstanden, zwischen 1931 und 1935.

Es sind Texte über die Wunden, die der Erste Weltkrieg geschlagen hat, über Emigration und Heimatlosigkeit, über eine Lähmung des bürgerschaftlichen Engagements, über Duckmäusertum. Die Musik von Stadlober hat wenig Kantiges, Widerborstiges - ihn reizt offenbar der Kontrast zwischen einem melodischen Fluss und Texten, die mit einer Menge Widerhaken versehen sind. Die instrumentale Besetzung ist ungewöhnlich: Gitarre (Stadlober), Akkordeon (Moheit), Oboe und Blockflöte (Deutschmann). Der Gesang von Robert Stadlober, manchmal unterstützt von Klara Deutschmann, ist leicht, flirrend: Auch hier die Einsicht, dass die Gedichte keine Verstärkung brauchen, kein Pathos, keine akustische Nachdrücklichkeit. Weil dann auch hörbar wird, was in vielen dieser Geschichten steckt: eine Trotzigkeit und manchmal sogar selbstgewisse Hoffnung.

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