Stars, die sich ihrem Ruhm verweigern:Vom Glück, nicht berühmt zu sein

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Die Geschichte von Silvia Seidel, Emil Steinberger und Walter Moers: Alle drei leben von der Gunst des Publikums, aber dessen Umarmung quält sie - über das schöne Gefühl, im Abseits zu stehen.

Holger Gertz

Die Kellnerin bringt zwei kleine Flaschen stilles Wasser und bleibt etwas länger als nötig stehen neben dem Tisch, draußen vor dem Café beim Isartor. Am Tisch sitzen eine Fotografin, ein Mann mit einem Aufnahmegerät und eine zierliche blonde Frau. Die Kellnerin schaut von einem zum anderen. Wenn einer fotografiert und interviewt wird, ist es, als würde einer in der Fußgängerzone um ein Autogramm gebeten. Ein Vorgang, der ein Signal sendet an sämtliche Passanten: Hier ist einer berühmt. Und der ein Ratespiel in Gang setzt: Wer ist das? Die Fotografin fotografiert. Die Kellnerin steht und hört dem Interview zu. Von irgendwo läutet ein Martinshorn. Die Kellnerin lauscht konzentrierter, während sich die Frau eine Zigarette anzündet, Gitanes Blondes. Und wenn sie jetzt genau hinsehen würde, könnte die Zigarettenschachtel den entscheidenden Hinweis geben, zur Auflösung des Rätsels. Wer ist das?

Emil Steinberger glaubt, dass die Menschen sich nicht mehr zuhören, nicht mehr reden miteinander, "wenn man ein Fest macht, dann hat man früher von den Gästen einen Brief gekriegt zum Dank, heute kommt nur eine SMS: Schönes Fest, danke." (Foto: N/A)

Auf der Schachtel abgebildet ist die Silhouette einer Tänzerin.

Silvia Seidel war blond und zierlich wie heute, als sie vor 16 Jahren eine Tänzerin spielte. Ein Ballettmädchen mit Namen Anna, Heldin des Weihnachtsmehrteilers im ZDF, gesendet zwischen den Jahren. Zwischen den Jahren, das war damals, 1987, eine noch langweiligere Zeit als heute. Die meisten Kneipen hatten geschlossen, man aß seinen bunten Teller leer, schaute im Fernsehen die Vierschanzentournee und die Weihnachtsserie. Mehr passierte nicht.

Anna hatte 13 Millionen Zuschauer, pro Folge, und der Postbote brauchte bald einen Assistenten, um die Säcke voller Briefe zuzustellen, nicht an Silvia Seidel adressiert, sondern einfach an Anna. "Oder es klebte ein Foto von Anna auf dem Umschlag, daneben stand: ,Lieber Postbote, du weißt bestimmt, wo sie wohnt'. Das kam alles an." Wann ist man berühmt? Wenn man Briefe kriegt, auf denen ein Bild, ausgeschnitten aus der Programmzeitschrift, die Adresse ersetzt. Wenn man zum Bäcker geht "und jeder guckt und läuft dir hinterher, ganze Schulklassen laufen hinterher". Wenn man beim Italiener isst, "und jeder starrt dir die Spaghetti von der Gabel".

Silvia Seidel sagt, erstaunlich ist, wie schnell das geht.

Eigentlich war sie eher durch Zufall in diesen Film gerutscht. Sie hatte das Berühmtsein nicht gesucht. Es hatte sie gefunden. Ein Mensch von der Fernsehproduktion war eines Tages in ihre Ballettgruppe gekommen und hatte sie zum Casting eingeladen. Da war sie hingegangen, unsicher, nervös, aber dann bekam sie die Rolle, fand sich furchtbar, als sie die Aufnahmen sah, die Beine zu kurz, aber das Publikum fand die Beine genau richtig. Und die Kinder auf der Straße wollten sein wie Anna, dabei war Silvia Seidel gar nicht wie Anna. Das war den Kindern zu abstrakt. "Die kamen und sagten, du bist doch die Anna. Da sagte ich, ich bin nicht die Anna, ich bin die Silvia. Ich konnte es nicht mehr hören, Anna, Anna." Da haben die Kinder traurig geguckt, und Silvia Seidel tut es mittlerweile leid, dass sie damals so zickig gewesen ist.

Warum rennen im Moment eigentlich alle in diese Casting-Shows im Fernsehen: Deutschland sucht den Superstar, Starsearch, Die Deutsche Stimme 2003, Fame-Academy, Popstars. Weil die Sendungen das beste Konzept haben, das es gibt, sagt Silvia Seidel, ein großes Versprechen: Wir machen dich berühmt. Vielleicht geht es aber nicht um das Berühmtsein, vielleicht ist der Wunsch dahinter - und damit das Versprechen - viel größer. Wer berühmt ist, ist glücklich, das haben sie sich doch bestimmt gedacht, Zlatko, Alexander, Daniel Küblböck und die anderen, die das Fernsehen zu Stars gemacht hat, ein paar Augenblicke lang. Dass Glück aber mit Ruhm nicht viel zu tun hat, wird in dieser Geschichte der Kabarettist Emil Steinberger erzählen, der sich jahrelang in New York verkrochen hat, um eine Pause zu haben vom Berühmtsein; der Autor Walter Moers, der sein Gesicht niemandem zeigt, als Vorkehrung gegen das Berühmtsein. Und Silvia Seidel, die eine Menge hat tun müssen dafür, nicht mehr so berühmt zu sein. Jedenfalls mehr als dafür, berühmt zu werden.

Eigentlich muss man für diese Geschichte einen neuen Begriff erfinden: unberühmt werden. Das hat sie ganz gut hingekriegt. Draußen rennen Menschen mit Einkaufstüten Richtung Isartor. Silvia Seidel raucht, Gitanes Blondes. Sie schaut zur Straße, aber keiner sieht zu ihr hin. Es ist wie ein Test. Irgendwann sagt sie: "Ich kann es wirklich abzählen in einem Monat, ob sich mal einer umgedreht oder mich angesprochen hat. Das ist wunder-, wunderschön."

Nur die Kellnerin ist immer noch unruhig. Einmal schaut sie von innen, aus dem Café, zum Tisch, aber da sieht sie die blonde Frau nur von hinten, das hilft ihr auch nicht weiter.

Die Kunst, unberühmt zu werden: Silvia Seidel hat nicht mehr in Tanzfilmen mitgemacht, obwohl ihr viele angeboten worden sind, hat kaum Interviews gegeben, stattdessen den Beruf Schauspielerin richtig gelernt, spielt auf kleinen Bühnen, Boulevardstücke, Theater vor der Stadt. Sie hat auf eine Menge Geld verzichtet, vor allem hat sie sich immun machen müssen gegen die Vorurteile der Öffentlichkeit, also des Publikums und der Medienleute. Von Karriereknick reden dann manchmal die Leute. Karriereknick. Als wäre ein schweres Gewicht auf ihr Leben gefallen und hätte was verbogen. Dabei ist das eine Entwicklung; etwas, das sie so gewollt hat. Aber das verstehen viele draußen nicht.

Sie hat eine Menge Preise gewonnen in ihrer Anna-Zeit, Bambi, Goldene Kamera, alles Auszeichnungen, "die man kriegt, weil man Massen bewegt, weil man halt bekannt ist". Sie nennt sie Kommerzpreise. Im vergangenen Jahr ist sie, für eine Rolle in der Komödie Staatsaffären, für den Merkur-Theaterpreis nominiert worden, neben Schauspielern wie Rolf Boysen, Jens Harzer, Dagmar Manzel. Den Preis kennt die Masse nicht, aber sie war glücklicher darüber als damals über das Bambi, sagt sie. Obwohl sie am Ende nicht gewonnen hat.

Emil Steinberger, der Kabarettist Emil Steinberger, vielleicht der berühmteste Schweizer, den es gibt, sitzt im Steigenberger-Hotel in Zürich, nicht im Frühstücksraum, wo zu dieser Zeit die anderen Hotelgäste ihren Kaffee trinken, sondern etwas versteckt in der Leseecke auf der ersten Etage. Bei ihm ist seine Frau. Putzfrauen rauschen mit Staubsaugern vorbei, und während Steinberger durch die Flure läuft, um einen geeigneteren Platz für das Interview zu finden, ruft er- und es klingt fast wie ein Überschriftvorschlag für diese Geschichte - : "Es ist verdammt schwierig, einen ruhigen Ort im Leben zu finden."

Emil Steinberger hat auch als Werbetexter gearbeitet, und ein Werbetexter muss das können, alles in einem Satz zusammenfassen. Als er einen ruhigen Platz gefunden hat, im Hotelkonferenzsaal hinten links, definiert er die Sehnsucht der Leute, berühmt zu werden, die Zeigelust der einen, die Gaffgier der anderen. Er braucht dafür einen Satz: "Es ist eine Krankheit." Er denkt immer viel nach über die Leute, schaut sie an - daraus ist auch die Figur Emil entstanden, den er jahrelang gespielt hat. Emil, ein Spießbürger, zusammengesetzt aus Beobachtungen, Formulierungen, Merkwürdigkeiten, die er sammelt, wenn er irgendwo in einer stillen Ecke sitzt und Leute anschaut.

Emil Steinberger, gerade siebzig geworden, hat immer noch ein Jungengesicht, aber was er sagt, klingt nach hundert Jahren Erfahrung mit Medien und Menschen. Und es klingt ziemlich deprimierend. Er glaubt, dass die Menschen sich nicht mehr zuhören, nicht mehr reden miteinander, "wenn man ein Fest macht, dann hat man früher von den Gästen einen Brief gekriegt zum Dank, heute kommt nur eine SMS: Schönes Fest, danke." Er sagt, die meisten kennen sich nicht mal innerhalb der Familie mehr richtig; keiner da, der dem anderen sagt: du bist wichtig für mich. "Und dann bricht das irgendwo aus. Und dann kommt die Möglichkeit, du kannst ins Fernsehen gehen, wenn du das und das erfüllst, und kannst wichtig werden, für alle." Seine Diagnose ist vielleicht ein bisschen simpel, aber sie muss deshalb nicht falsch sein. Wenn es eine Krankheit ist, eine Sucht, dann wird die ausgelöst von den Medien, sagt Emil Steinberger, "die schöpfen ihr Kapital daraus, die brauchen ihre Menschenopfer". Und es wird ja vielleicht noch schlimmer. "In Japan gehen die Shows so weit, dass man sich das Rasiermesser an den Hals setzen muss." Er macht eine Bewegung mit der flachen Hand, einmal von rechts nach links den Hals entlang.

So ein Clown hat etwas Verstörendes, wenn er ernst ist.

Emil Steinberger sagt, wenn er die Casting-Stars sieht, muss er immer an den Druck denken, den die aushalten müssen. Wie gewaltig der sein muss, wenn alles so schnell geht, wenn einer praktisch über Nacht berühmt wird - oder es wenigstens glaubt. Seine Karriere wuchs über Jahre, Jahrzehnte. Kleine Bühnen, größere, dann mit seinem Emil immer in großen Theatern, nie ein leerer Platz. Sein Berühmtsein entstand mit der Zeit, es überfiel ihn nicht. Er konnte sich einstellen auf den Druck, aber irgendwann war der sogar für ihn zu gewaltig. Wo er war, sind ihm die Leute hinterhergerannt, "da flüchtest du dich in eine Telefonkabine, und die Leute stehen davor und winken andere heran und rufen: Emil telefoniert, kommt, schaut!" Alle wollten, dass er Emil ist, immer Emil, da hat er dann aufgehört, den Emil zu spielen. Ist irgendwann abgehauen, ein paar Jahre nach New York. Lesen, allein sein, spazieren gehen. Das hat am Anfang gut funktioniert, aber dann, sagt er, haben die Zeitungen ihre Reporter geschickt, und die haben ihn schließlich gefunden. Da ist er heimgekommen in die Schweiz, irgendwie wollte er sowieso wieder arbeiten, mit der deutschen Sprache, aber nicht mehr als Emil. Er hat ein Buch geschrieben, der Verlag hat gesagt, dann musst du auch Lesungen halten. Also liest er.

Als Emil war er besser, schreiben manchmal Kritiker, denen seine Lesungen nicht gefallen. Das macht ihm nichts. Er ist jetzt siebzig, da ist ihm eine Elefantenhaut gewachsen. "Vielleicht ist das das Zeichen dafür, dass man berühmt ist, dass man mit der Zeit eine dicke Haut hat." Außerdem, sagt er, sind schlechte Kritiken nicht das Schlimmste, was einem passieren kann.

So ein berühmter Mensch kann dauernd verletzt werden, von der Masse, wie es gerade Daniel Küblböck passiert ist, bei der Verleihung eines Musikpreises in Köln. Das Playback funktionierte nicht richtig, und auf einmal war das Publikum wie ein Wald nach wochenlanger Dürre, wenn ein Funke reicht, um ein Feuer zu entfachen. Einer fing an zu pfeifen, das war der Funke, und dann brüllten alle, 15000 geifernde Menschen, vor ihnen dieser Junge; in Klamotten, die nicht mehr flippig aussahen, nur noch lächerlich. Oder, jemand kann verletzt werden von einem Einzelnen, so war es bei Silvia Seidel. Ein Reporter, es ist elf Jahre her, hatte im Polizeibericht gelesen, eine Hannelore S. habe sich umgebracht. Er fragte überall, der Reporter, er witterte die Story seines Lebens, und dann war es raus und stand in der Zeitung, und am nächsten Tag wussten alle, dass diese Frau S. die Mutter von Silvia Seidel war.

Silvia Seidel erzählt vom Tod ihrer Mutter. Sie hatte Depressionen, verzehrende Depressionen, mit 18 schon hatte sie das erstemal versucht, sich umzubringen. Als die Tochter "Anna" wurde, war die Mutter selten dabei, und wenn die Tochter nach ihr gefragt wurde, hat sie gesagt, ach, die Mutter fliegt nicht gern. "Ich wollte nicht, dass in der Boulevardpresse über eine Krankheit debattiert wird, die da doch sowieso keiner versteht." Als die Mutter sich umgebracht hatte und die Zeitungen mit den Geschichten erschienen, da hat sie es gehasst, ihr Berühmtsein: Jetzt war es nicht mehr nur nervend und freiheitsraubend. Jetzt drohte es sie zu vernichten. Die Geschichten folgten einem Muster: Da ist eine berühmte Schauspielerin, die alles Licht für sich hat - und in ihrem Schatten geht ihre Mutter vor die Hunde. Die Medien hatten sie hochgepuscht, das war gut für die Auflage. Jetzt sollte es so aussehen, als hätten sie und ihr Vater es sich gut gehen lassen, auf Kosten der Mutter, so lasen sich diese Geschichten, die erfunden waren - aber auch gut für die Auflage. Zeitungsleute klingelten an der Tür, drei Stunden, obwohl die Rollläden runtergelassen waren und die Familie Seidel in der Wohnung am Boden kroch: der absurde Versuch, sich zu verstecken.

Sie wird ziemlich laut, wenn sie von damals erzählt: "Man möchte auf die Straße laufen und schreien, das ist nicht wahr, bitte glaubt das nicht, was in der Zeitung steht. Das ist alles ganz anders gewesen. Und man ist so machtlos, so ohnmächtig machtlos, man kann nichts tun." Zur Trauerfeier am geheimen Ort fuhren sie in einem Wagen mit abgedunkelten Scheiben, den ein Freund der Familie steuerte. Sie und ihr Vater lagen im Wagen am Boden, unter Decken, und der Freund musste dreimal bei Rot über die Ampel, um Reporter abzuhängen.

Das Verhältnis zur Presse, sagt sie, ist kaputt seitdem. Aber, es hat sich gleichzeitig geklärt. "Ich habe keinen Respekt vor diesen Menschen, ich habe keine Achtung mehr, gar nichts mehr. Die machen einen ganz widerlichen, billigen Job." Sie schaut jetzt vorher genau hin, mit wem sie redet, und am liebsten sagt sie zu den Medienleuten gar nichts.

Berühmtsein macht offenbar nicht glücklich, es macht einen wund und verzweifelt, wenn man nicht aufpasst, und bestimmt passt niemand so auf sich auf wie Walter Moers. Seine Geschichte spielt in New York, der Autor und Zeichner Walter Moers schaut, während er über sein Berühmtsein nachdenkt, "auf die Spitze des Chrysler-Buildings, des schönsten Wolkenkratzers der Welt". Jedenfalls schreibt er das. Er spricht nicht mit der Presse, kommuniziert nur per E-mail. Man muss bei Piper, seinem Verlag, anrufen, die leiten das weiter. Wenn er Lust hat und Zeit, meldet er sich.

Walter Moers ist der erfolgreichste deutsche Autor und Illustrator der vergangenen zehn Jahre. Er hat für Kinder den Käpt'n Blaubär erfunden und für die Erwachsenen seine Fantasieromane; auch für die kritischen Menschen im Feuilleton. Er hat für die Freaks das Kleine Arschloch geschaffen. Er ist ein Star im Literaturbetrieb, ein viel größerer als die meisten Schreiber, die dauernd in den Talkshows sitzen. Er hat die Masse erreicht. Aber sie kennt ihn nicht. Keiner weiß, wie er aussieht. Er lässt sich nicht fotografieren, hat noch nie eine Lesung gehalten. Er will es nicht. "Die Verleger jammern natürlich immer, dass sie viel mehr Bücher von mir verkaufen würden, wenn ich meine Haut zu Markte tragen würde", schreibt er. "Ich argumentiere dann gerne, dass ich in der Zeit, in der andere Autoren in Talkshows sitzen oder Autogramme geben, lieber neue Bücher schreibe. Das zieht meistens. In Wirklichkeit sitze ich dann natürlich nur zu Hause und rauche Opium."

Aber wäre das nicht ein intimer, fast erotisierender Moment, wenn er in einer Lesung säße. Die Zigarette qualmte im Aschenbecher. Er hätte ein Rotweinglas vor sich, das Licht würde sich darin brechen. Und alle, alle hörten ihm zu?

Moers schreibt: "Rotwein, Tabakqualm - da muss ich mir zwanghaft einen lesenden Günter Grass vorstellen. Das ist von meinen Vorstellungen von Erotik so weit entfernt wie Marschmusik."

Er entzieht sich, sogar durch die Witze, in die viele seiner Antworten münden. Man kommt nicht an ihn heran, der Computer ist dazwischen. Das ist ihm recht. "E-mail-Interviews mache ich deswegen gerne, weil es die fairste Form von Interview ist: Man hat für die Antworten genauso viel Zeit wie der Interviewer für die Fragen", schreibt Moers. Er kann alles kontrollieren, soll das heißen, nichts rutscht heraus. Walter Moers ist der vorsichtigste Interviewpartner, den man sich vorstellen kann. Alle Zitate, von ihm in aller Ruhe in den Computer getippt, müssen - darauf legt er Wert - vor dem Druck der Geschichte noch einmal in aller Ruhe autorisiert werden.

Vielleicht ist Walter Moers so wie die von ihm gezeichneten Figuren auf seinen Romancovern. Auf einem ist der Käpt'n Blaubär, auf einem anderen Rumo, der Wolpertinger. Beide stehen auf einer Art Bühne, aber der riesige Vorhang ist gefallen, er fließt über den gesamten Buchdeckel, und man sieht Rumo und den Käpt'n ganz unten, am Buchrand, wie sie sich halb in den Vorhangfalten verstecken.

Auf der Bühne stehen, aber nicht gesehen werden.

Irgendwie ein passendes Bild, auch für Silvia Seidel. Sie will ja auf die Bühne, "ich habe mich in meinen Beruf verliebt, aber nicht in das Drumherum", sagt sie. Sie hat beschlossen, dass ihre Bühne kleiner sein soll, viel kleiner als das Fernsehen, jedenfalls das Fernsehen für die Massen. Silvia Seidel sagt, sie fühlt sich wohl auf kleinen Bühnen. Gerade lernt sie den Text für die "Romantische Komödie", Premiere ist im November in Aschheim. Kleine Bühne, Theaterliebhaber im Publikum, Lokalpresse. Bei einem anderen Stück saßen Zuschauer da, die kannten sie noch, als Anna. "Die haben nachher gesagt, dass Sie das sind! Wir haben gar nicht gewusst, was sie alles spielen können, das ist ja toll." Das hat sie gefreut.

Sie verabschiedet sich, ihre Wohnung ist ein paar Ecken weiter. Die Kellnerin rechnet zwei Mineralwasser und einen Milchkaffee ab. Beim Wechselgeldrausgeben bricht es fast aus ihr heraus. "Muss man die kennen?" fragt sie. "Also, Sie haben doch immer übers Berühmtsein geredet." Sie hat gut zugehört.

Das war Silvia Seidel. Sie ist Schauspielerin.

"Oh, Schauspielerin", sagt die Kellnerin, schaut nach draußen, und für einen Moment sieht es so aus, als wolle sie sich auf ihren Abrechnungsblock ein Autogramm geben lassen.

Aber da ist Silvia Seidel schon verschwunden.

© SZ v. 13/14.09.2003 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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