Stadtplanung:Das Notwendige ist nicht genug

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Der englische Designer Thomas Heatherwick versteht Schönheit als Inspiration für das gesellschaftliche Leben. Eine Brücke über die Themse hatte er als öffentlichen Garten geplant.

Von Till Briegleb

Zu Hause läuft es gerade nicht so toll für Thomas Heatherwick. Sadiq Khan, der Bürgermeister von London, hat der von Heatherwick entworfenen "Garden Bridge" gerade das Fundament entzogen. Eine Fußgängerbrücke über die Themse als öffentlicher Garten hatte sich der Designer 2013 für eine Privatstiftung ausgedacht, die den größten Teil der Kosten für die Flussoase erbringen wollte. Aber der Labour-Bürgermeister ist der Meinung, dass es genügend Brücken über die Themse gibt und der Steuerzahler für dieses kleine Paradies im Wasser mit 270 Bäumen und Tausenden Pflanzen überhaupt kein Geld geben sollte. Damit ist das Projekt tot.

Die Hintergründe dieses Beschlusses sind vorwiegend politischer Natur, denn die Garden Bridge war eines der Lieblingsprojekte von Kahns Vorgänger, dem Brexit-Populisten und jetzigen Außenminister Boris Johnson. Die Absage der öffentlichen Unterstützung diente Kahn nun dazu, sich als kostenbewussten Gegenpart zu dem Showman der Tories zu inszenieren. Doch die reinen Steuerzahler-Argumente diskreditieren nun selbst in populistischer Manier eine alternative Sicht auf den öffentlichen Raum, die hier ihren Ausdruck fand.

Die Absicht von Heatherwicks Entwurf war es nämlich nie, einen effizienten neuen Weg zu schaffen, auf dem Sadiq Kahn von Temple nach South Bank kommt, sondern eine neue Form des viktorianischen Parks zu erfinden, einen Zaubergarten im Zentrum der Stadt, der das Künstlerische, vielleicht auch das Spleenige der englischen Hauptstadt ausdrücken kann - und dabei echte Naherholung bietet. Doch mit Kahns harscher Ablehnung ist diese Vorstellung von einem neuen Stadtpark auf dem Wasser nun abqualifiziert als idiotische Architektengrille. Und damit wird ein Designer und Architekt diffamiert, der zu den energischsten Verfechtern einer Stadt gehört, die zum Wohl der Bürger Schönheit und Wohlergehen wichtig nimmt.

Seit Heatherwick 1994 ein Designbüro gründete mit der Vision, den öffentlichen Raum menschenfreundlicher zu gestalten, richtet sich seine Philosophie auf die Beseelung von Funktionszwängen. "Gefühle", sagt er, "sind ein bedeutender Teil der Funktion eines Bauwerks." Nur das Notwendige zuzulassen, unterdrücke Lebensqualität. Und dieses Denken sei dafür verantwortlich, dass Menschen bei Infrastrukturprojekten grundsätzlich armseligste Ergebnisse erwarten müssen.

Dabei hat der 47-jährige Universaldesigner, den sein früherer Mentor Terence Conran den "Leonardo da Vinci unserer Zeit" nennt, gerade in London gezeigt, warum Erlebnisqualität einen so hohen "Funktionswert" hat wie technische Abläufe. Mit großer Liebe zum Detail und zur Tradition hat Heatherwicks Büro Londons Doppeldeckerbusse neu gestaltet und energetisch optimiert. Das rote Symbolgefährt, das seit 1968 nicht erneuert wurde, ist in dem coolen Design ein Symbol für die ökologischen Ziele der Stadt: Durch die beliebten Gefährte ist Busfahren plötzlich nicht nur für Touristen attraktiv.

Und seine Schneckenhausbrücke am Grand Union Canal, die bei Schiffsdurchfahrt nicht aufgeklappt, sondern eingerollt werden kann, reduziert Technik auf ein Minimum und ist trotzdem so nützlich wie lustig. Deswegen muss es so enttäuschend wirken, wenn Steuerzahler-Argumente nun ein Projekt verhindern, das in seiner sinnlichen Freigiebigkeit weit über den Horizont von Verkehrswegeplänen hinaus gedacht war.

Diese Suche nach dem öffentlichen Mehrwert des Gestaltens hat den Designer mittlerweile zu einem der gefragtesten Namen im internationalen Entwurfsgeschäft gemacht. Sein "Studio Heatherwick" realisierte zuletzt sehr besondere Bauprojekte in aller Welt, etwa das kürzlich eröffnete Museum für zeitgenössische Kunst in Kapstadt (siehe SZ vom 2. 9. 2017). In New York wird gerade die "Vessel", eine begehbare Riesenskulptur aus kupfernen Rolltreppen, auf dem Hudson Yard gefertigt. Allerdings ist auch hier ein Park im Wasser, den Heatherwick für einen der New Yorker Piers entworfen hatte, gerade gestoppt worden. Endlose Rechtsstreitigkeiten und explodierende Kosten ließen den privaten Investor des grünen Hügels auf Stelzen "Pier 55", Barry Diller, resignieren.

Auch dieses Projekt war geboren aus Heatherwicks Philosophie für den öffentlichen Raum, die Schönheit als Inspiration des gesellschaftlichen Lebens versteht. Ignoranz gegenüber bedeutungsvoller Gestaltung nennt er dagegen "Missachtung der Menschenwürde" - um sich für diese pathetischen Worte gleich wieder halb zu entschuldigen. Heatherwick vermittelt glaubhaft, dass ihm alles Großtuerische zuwider ist. Wird er nach seinem "Brand", seinem Markenzeichen gefragt, nennt er diese Vokabel ein "stinky word". Sein Studio führe er "mit dem größten Widerstand gegen jede Form von Hierarchien" als eine Art "komisches Sowjet-Kollektiv". Und mit dieser uneitlen Methode des gemeinschaftlichen Entwerfens will er "den Unterschied machen" zu einer als kulturlos empfundenen Großstadtarchitektur.

Ist es nicht tröstlich, dass man mit diesen Künstleridealen heutzutage einen "Workshop" mit 200 Mitarbeitern am Leben erhält? Wie das geht, versteht man vielleicht am besten im fernen Shanghai, wo der Leonardo da Londra 2010 mit seinem britischen Expo-Pavillon soviel Eindruck hinterließ, dass er nun zwei wirklich außergewöhnliche Projekte umsetzen durfte.

Der haarige Hauswürfel, den Heatherwick auf der größten Expo aller Zeiten realisierte - mit seinen 66 000 transparenten Fiberglasstangen, die außen sanft im Wind wogten und innen ein Samenarchiv bereit hielten -, verwies bereits auf den spielerischen Umgang mit der Natur und dem heißen Klima Shanghais, den auch seine neuen Gebäude als geistiges Markenzeichen zeigen. Das demnächst fertige "Haus der 1000 Bäume", ein bergartiger Multifunktionskomplex, der neben dem Künstlerquartier M50 entsteht, überrascht mit einem Wald an pilzförmigen Riesensäulen gekrönt von Bäumen. Diese filtern die Sonne vor der Fassade und stellen gleichzeitig eine Wunderlandatmosphäre zwischen klobigen Wohnsilos her.

Und auch Heatherwicks rotgold schimmerndes Kulturzentrum am Bund wird durch drei gewellte Reihen herabhängender Stäbe in Bambusoptik so attraktiv verschattet, dass der Komplex nicht nur wie die bizarre Filmkulisse eines Luc-Besson-Films aussieht, sondern auch seine öffentliche Funktion ohne Schweißtuch erfüllt. Hier zeigt sich Heatherwicks Freude am Ausprobieren unter der Maßgabe, etwas für gewöhnliche Menschen in der Stadt zu erfinden, das sie mögen können. In der ständig verstopften Hochhausdichte von Shanghai, wo der primäre öffentliche Raum die Shopping-Mall ist, schafft Heatherwicks "chinesisches" Gold-Design ein Identifikationsangebot als öffentlich zugänglichen Ort.

Der Unterschied von Heatherwicks Idee von Design zu den meisten seiner Kollegen lässt sich vielleicht durch sein Traumprojekt am besten illustrieren. Gefragt, was er gerne noch entwerfen würde, antwortete er nicht "Yacht", "Hochhaus" oder "Flughafen", sondern "Gefängnis". Warum? Weil er möchte, dass Straftäter im Knast eine Vorstellung von den Möglichkeiten des Lebens erhalten. Vielleicht sollte Sadiq Kahn also als Reue für seine engstirnige Entscheidung bei der "Garden Bridge" Thomas Heatherwick die Londoner Gefängnisse zur Überarbeitung geben. Das könnte dazu führen, dass Insassen so viel Sinn erfahren, dass sie nie wiederkommen. Und das würde dem Steuerzahler eine Menge Geld sparen.

© SZ vom 09.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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