Staatsoper Hamburg:Ein Date mit dem Trauma

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Dmitri Tcherniakov inszeniert Péter Eötvös' "Senza sangue" und Béla Bartóks "Herzog Blaubarts Burg".

Von Julia Spinola

Nichts ist so stark wie der Instinkt, dorthin zurückzukehren, wo wir gebrochen wurden", singt die Frau, bevor sie mit dem Mörder ihres Vaters ins Bett geht. Dass diese Liaison nicht gut gehen kann, liegt auf der Hand. Nach dem Sex im Hotelzimmer - "erwarten Sie nicht zu viel, ich bin schon alt" - beginnt ebendort die Beziehungshölle: Alkohol, Gewalt, aufgeschnittene Pulsadern, ein großer, gemeinsamer Nervenzusammenbruch.

Sie spielt die Psychoanalytikerin, die ins Innerste des Mannes vordringen möchte, besessen vom Eifer, dort alles auszuspähen und mal so richtig durchzulüften. Er öffnet in der Festung seines Mörder-Ichs eine Tür nach der anderen. "Sei vorsichtig mit meiner Burg", warnt er. Doch zu spät. Folter- und Waffenkammer hat die Frau schon eingenommen, da poltern die Monstrositäten aus dieser Männerseele hervor: Narzissmus und Größenwahn, unsublimierte Leidenschaften, Aggressionen, Ängste und Weinerlichkeit. Wenn beide am Ende wieder im Bett liegen, kauern sie sich aneinander wie die psychisch ausgelöschten Überlebenden eines Gemetzels.

Musikalisch senkt sich Béla Bartóks orchestrale Nacht auf die Szene. Und als Videoprojektion flimmert die traumatisierende Urszene über die Hotelzimmerwand: Man blickt in die schreckgeweiteten Augen eines kleines Mädchens, das einen Mord beobachtet hat und nun von einem der Täter in ihrem Versteck entdeckt wird.

Béla Bartóks einzige Oper "Herzog Blaubarts Burg" teilt das Bühnenschicksal aller Einakter: ein Leben als Hälfte, die für sich genommen nicht abendfüllend ist. Das brachte den erfolgreichen ungarischen Opernkomponisten Péter Eötvös darauf, der einstündigen Bartók-Partitur ein Schwesterwerk passgenau hinzuzukomponieren. "Senza sangue" heißt es nach einer Novelle von Alessandro Baricco und schildert die Begegnung einer Frau mit einem der Mörder ihres Vaters.

Unmittelbar nach einem Krieg dringen Rebellen mordend ins Haus eines ehemaligen Militärarztes ein. Der jüngste von ihnen entdeckt das Mädchen und verschont es. Jahrzehnte darauf begegnen sich die beiden und erzählen einander ihre Versionen der Geschichte. Für eine Weile scheint es, als wolle sich die Frau am Täter rächen. Nach ein paar Gläsern fordert sie ihn dann jedoch auf, mit ihr in ein Hotel zu gehen.

Claudia Mahnkes Judith bringt Blaubart mit den Farben ihres Mezzosoprans zur Strecke

Eötvös' Ehefrau und langjährige künstlerische Partnerin Mari Mezei hat daraus ein Libretto in sieben Szenen gemacht, passend zu den sieben Türen, die in Bartóks Oper geöffnet werden und das Geschehen zwischen Herzog Blaubart und Judith gliedern. 2015 wurde die fünfzig Minuten dauernde Komposition an der Kölner Philharmonie konzertant aus der Taufe gehoben, im vergangenen Mai fand in Avignon die erste szenische Aufführung statt. An der Hamburger Staatsoper hat jetzt Dmitri Tcherniakov, der große Seelenkundler unter den Opernregisseuren, beide Werke in seinen eigenen Bühnenbildern als eine Art Fortsetzungskrimi inszeniert.

"Senza sangue" spielt im Dämmerlicht eines surrealistischen Platzes. Statisten stehen hier herum wie Gegenstände auf einem Magritte-Gemälde, eine große Ampel in der Mitte regelt den nicht vorhandenen Verkehr. Wenn sich der Dialog zwischen der eleganten Frau und dem Mann, der eine Wunde am Kopf trägt, zuspitzt, schaltet die Ampel auf Dauerwarnblinken.

Angela Denoke und Sergei Leiferkus füllen die deklamatorischen Gesangslinien ihrer Partien mit dramatischem Ausdruck. Das Orchester malt unter der Leitung des Komponisten die inneren Vorgänge effektvoll und sängerfreundlich in den prächtigen instrumentalen Farben der Bartók-Partitur aus. Eötvös' Musik klingt stimmungsvoll wie eine gute Filmmusikpartitur, nicht mehr, aber auch nicht weniger.

So sympathisch es erscheint, dass Eötvös gar nicht erst versucht, mit Bartóks großem musikalischen Wurf zu konkurrieren, so problematisch erweist sich doch zugleich dieser Rückzug ins solide Handwerk. Sobald der erste Ton Bartóks erklingt - den Eötvös übrigens absolut großartig dirigiert - hat man "Senza sangue" vergessen, und spätestens dann fragt man sich nach dem Sinn des Einfalls, Bartóks "Blaubart" mit einer musikalischen Einleitung aufzuhelfen, die er nicht nötig hat.

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Man hat den "Blaubart" schon mit zahlreichen profilierten Werken gekoppelt, mit Luigi Dallapiccolas Zwölfton-Kurzoper "Il Prigioniero" etwa oder mit Tschaikowskys "Iolantha", mit Werken von Arnold Schönberg oder Leoš Janáček. Man kann das Werk auch an einem Abend in verschiedenen Bühnenversionen zwei Mal hintereinander spielen, wie es der Regisseur Herbert Wernicke einmal getan hat. All dies kann wunderbar funktionieren.

Auch szenisch erwies sich die Werkkopplung an diesem Abend eher als Begrenzung. Ohne den Zwang, den Plot des Eötvös-Prologs weiterzuspinnen, hätte Tcherniakov möglicherweise doch noch andere Deutungsschichten im "Blaubart" entdeckt und die Parabel nicht ganz so eindeutig auf das Beziehungspsychodrama im Hotelzimmer heruntergebrochen.

Das allerdings hat er auf großartige Weise getan. Er lässt seine beiden Darsteller eine gute Stunde lang zwischen dunklen Eichenmöbeln aufeinander losgehen, ohne dass auch nur einmal eine Tür geöffnet würde. Man folgt dieser Seelenzerfleischung wie auf der Stuhlkante, so spannungsvoll ist sie. Das liegt auch an den fabelhaften Darstellern: Claudia Mahnkes Judith ist eine Besessene, die ihren Blaubart mit einer unwiderstehlichen Fülle mezzosopranistischer Farben zur Strecke bringt: vom dunklen Gurren bis zur flammend aufleuchtenden Höhe. Und Bálint Szabó verleiht dem Blaubart darstellerisch und stimmlich imposante Größe mit seiner machtvollen Bassbaritonstimme.

Tcherniakovs Fazit ist finster. Es lautet: Täter und Opfer können keine gemeinsame Sprache finden. Und vielleicht ist diese bittere Einsicht, neben einer musikalisch grandiosen Aufführung, der wichtigste Ertrag des Abends. Am Ende von "Senza sangue" leuchtet die Hoffnung auf, es könne eine Versöhnung zwischen der Zeugin des Attentats und dem Mörder geben.

Aber trifft die Unterstellung des Librettos, Täter und Opfer seien aufgrund einer komplementären Traumatisierung untrennbar aneinander gekettet, wirklich zu? Von einem Stockholm-Syndrom der Täter, das diese an ihre Opfer binden würde, hat man jedenfalls noch nichts gehört. Und auch ein Blick in die Geschichte zeigt, dass diese es eher mit den Tätern hält als mit den Opfern.

© SZ vom 16.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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