Spurensuche:Höllenhitze

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"Das Eisenwalzwerk" von Adolph Menzel ist in der Alten Nationalgalerie in Berlin ausgestellt. (Foto: Staatliche Museen)

Der Sommer ist zu Ende, jetzt regiert wieder der Job. Adolph Menzels Gemälde "Das Eisenwalzwerk" zeigt, wie das ganze Leben von Arbeitern sich in eine Farbrik verlagert hat.

Von Gottfried Knapp

Die Welt verändert sich ständig - nicht aber die großen Fragen, die Menschen bewegen. Wir suchen in alten Filmen und Kunstwerken nach wiederkehrenden Motiven. Menzels "Eisenwalzwerk" zeigt, wie Arbeit Menschen dominiert.

In den letzten Wochen hat in den meisten deutschen Bundesländern der normale Arbeits- und Schulalltag wieder begonnen. An diesem Wochenende gehen auch in Baden-Württemberg und Bayern die Sommerferien zu Ende. Ein großer Teil der Deutschen nimmt also nach einer längeren Pause in diesen Tagen die Arbeit wieder auf. Wie sich diese Arbeit im Lauf der letzten 150 Jahre verändert hat und wie tief Arbeit in unser Leben eingreifen kann, das ist wohl kaum irgendwo dramatischer und lebendiger dargestellt worden als im Meisterstück der realistischen Malerei in Deutschland, dem zweieinhalb Meter breiten Gemälde "Das Eisenwalzwerk", das Adolph Menzel nach zahllosen Spontanskizzen und Vorzeichnungen im Jahr 1875 fertiggestellt hat.

Das Zentrum des Bildes ist vom blendend grellen Schein des glühenden Stahls fast gespenstisch erhellt. Mehrere Arbeiter versuchen mit Zangen die aus der Walze quellende Glutmasse, die nach dem Abkühlen die Form von Eisenbahnschienen annehmen wird, auf den zweirädrigen Karren zu ziehen, der von zwei anderen Arbeitern aus sicherem Abstand mit langer Deichsel unter das Maul der Walze geschoben worden ist. Die extremen Bewegungen, zu denen die Arbeiter in der höllischen Hitze gezwungen sind, haben dem Bild früh schon zu dem Titel "Moderne Zyklopen" verholfen. Doch nicht nur das zentrale Geschehen in diesem Stahlwerk, das Beschicken der Walze auf der einen Seite und der Abtransport der glühenden Schienen auf der anderen, wird hier in all seinen Details mit fast schon wissenschaftlicher Korrektheit und gleichzeitig größtem malerischem Temperament geschildert; auch die Auswirkungen, die das Schuften in der Fabrik auf das Leben der Arbeiter hat, sind in diesem Gemälde auf bewegende Weise zu erleben. So haben einige Männer rechts vorne im Bild eine zerbeulte rostige Blechwand als Hitzeschild gegen die Walze aufgestellt. Im Schutz dieses Schirms haben sie sich niedergelassen, um abzunagen und auszulöffeln, was ihnen eine Frau in einem Korb an Essbarem mitgebracht hat. Doch nicht nur die Nahrungsaufnahme, auch die Körperpflege findet direkt am Arbeitsplatz statt: Ganz links im Bild sieht man drei Männer mit nackten Oberkörpern, die sich beim Waschen über irgendwelche Gefäße beugen.

Noch ein Stück weiter hinten hebt sich ein elegant gekleideter Herr mit Straßenhut vor einer aufgehenden Feuerwalze ab. Er hat den Kopf gehoben, mustert interessiert die Konstruktion des Fabrikgebäudes, als wolle er sehen, ob sich das Ganze zu kaufen lohnt. Inwieweit Menzel hier Sozialkritik üben wollte, muss uns heute nicht mehr interessieren. Aber dass er, der unermüdliche Vermittler physischer Erscheinungen, den körperlich Arbeitenden seiner Zeit, den modernen Zyklopen, ein Denkmal setzen wollte, ist offensichtlich.

© SZ vom 10.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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