Spurensuche:Hochheiliges Paar

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Philipp Otto Runge hat "Die Ruhe auf der Flucht" zwischen 1805 und 1808 gemalt. (Foto: Abbildung: Hamburger Kunsthalle)

Wir suchen in alter Kunst nach wiederkehrenden Motiven. Diesmal in Philipp Otto Runges Bild "Die Ruhe auf der Flucht".

Von Gottfried Knapp

Kein Thema hat die Deutschen in den vergangenen Jahren mehr beschäftigt als die Flüchtlingskrise. Doch Flüchtlinge hat es zu allen Zeiten gegeben. Christen, die sich heute Gedanken machen über die Länder, aus denen die Asylsuchenden kommen, vergessen gern, dass auch das Leben Jesu nach der Geburt im Viehstall mit einer überstürzten Flucht weiterging. Seit dem Spätmittelalter gehört die "Flucht nach Ägypten" zu den beliebtesten Motiven der christlichen Kunst. Vor allem deutsche Maler haben sich beim Ersinnen der Widrigkeiten, die dem "hochheiligen Paar" mit dem neugeborenen Kind und dem Esel beim Durchqueren gefährlicher Länder zustoßen, gerne in wilde Urwaldfantasien verstrickt. Bei der "Ruhe auf der Flucht" aber konnten sie einen Hymnus anstimmen auf die Geborgenheit in der Natur, in Landschaften, die von Engeln bewacht werden.

Philipp Otto Runge (1777 - 1810) ist durch dieses beliebte Sujet zu einer der schönsten Natur- und Morgenvisionen der deutschen Kunst angeregt worden. In einem Brief an Goethe 1808 beschreibt er sein Gemälde genau: "Maria und Joseph haben mit dem Kinde am Abhang eines Berges die Nacht ausgeruht, der erste Sonnenstrahl fällt über die Gruppe, und das Kind langt mit der Hand hinein. Im Tal liegt noch der Schatten, und auf den obersten Spitzen spielt das Licht nur. Ein großer Tulpenbaum breitet sich darüber aus, und drei Engel musizieren dem Licht entgegen. Joseph und der Esel sind im Schatten. Joseph schlägt das Feuer aus, das in der Nacht gebrannt hat."

Runge hat sein 130 Zentimeter breites Gemälde als Altarbild für die Greifswalder Marienkirche begonnen, doch wohl nie ganz zu Ende gemalt, da die Verhandlungen mit der Kirche durch den Krieg unterbrochen wurden. Runge macht das Morgenlicht zum elementaren Ereignis in seinem Bild, indem er den Rücken des Esels mit dem daraufgepackten Damensattel und den Kopf von Joseph wie Scherenschnitte hart vor die aufgehende Sonne und den hell aufleuchtenden Himmel setzt. Von wunderbarer Poesie ist auch, wie das Jesuskind den Arm in den Sonnenstrahl streckt und dabei den Blick des Betrachters nach hinten in die Landschaft lenkt, wo eine Pyramide emporragt. Die musizierenden Engel aber, die wie Früchte dem Baum entsprießen, sind Naturgeister, wie sie nur Runge erfinden konnte.

© SZ vom 24.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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