Sprache der Börse:Bulle und Bär

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Je weniger greifbar die Finanzwirtschaft, desto ruraler sind die Metaphern mit denen von ihr gesprochen wird. (Foto: dpa)

Was haben Wall Street und Wilder Westen gemeinsam? Metaphern der Finanzwelt stammen aus der Prärie.

Von Michael Maar

"Saufen müssen sie schon selber", so der Finanzminister Karl Schiller über die Pferde, die man zwar zur Tränke führen könne, mehr aber auch nicht. "Mehr Wasser hilft nicht, wenn die Pferde nicht saufen wollen", zitiert ihn nicht namentlich Hans-Werner Sinn in seinem Tadel der jüngsten Zinsbeschlüsse der Europäischen Zentralbank. Etwas Ähnliches meint das Bild von dem Pferd, das sich mit einem Lasso zwar einfangen, aber nicht wegschubsen lässt; auch dies als Draghi-Kritik zu verstehen, der die Zinsen immer weiter senken und unter null treiben will, ohne damit noch irgend etwas hebeln zu können.

Schiller seinerseits hatte vielleicht John Wayne zitiert, der den Satz von den Pferden und der Tränke in einem Western knurrt. Es ist auffällig, wie sich die Wurzeln der Wall Street bis in den Wilden Westen ziehen. Schon Bulle und Bär, das Yin und Yang der Börse, siedeln in der Prärie. Es gibt da offenbar einen Zusammenhang. Je ätherischer die Geldwirtschaft, desto ruraler die Rede von ihr. Wo alles nur noch Fiktion ist und Derivat, Forex-Trading und Schein, da reitet im Sonnenuntergang der Marlboro-Mann, an Bullenherden und saufenden Pferden vorbei; wenn eines ausreißt, hat er sein Lasso zur Hand.

Ließen sich die Bilder der Börse nicht weiterdenken? Die Trader, die beim Hochfrequenzhandel reale Tunnel durch reale dicke Felswände bohren lassen, um möglichst nahe an den Zentralrechner zu kommen und bei den flash orders wichtige Mikrosekunden zu gewinnen - gleichen sie nicht den Sioux beim nächtlichen Anschleichen ans zentrale Fort? Die Algo-Trader wären die Indianer der Wall Street.

Als Bild für die panische Massenflucht der Anleger bei einer Baisse bietet sich die Stampede an. Ein paar Bullen sind nervös geworden, die Herde folgt ihnen in Panik. Die Sioux lebten von diesem Leverage-Effekt. Sie versetzten eine Bisonherde in Panik und trieben sie auf eine steile Schlucht zu. Von den zu Tode gestürzten Tieren konnten sie sich den nächsten Winter lang bequem ernähren. Der Trader, der bei Leerverkäufen auf fallende Kurse setzt, wüsste gern einen ähnlichen Trick. Bei Breuer und der Deutschen Bank hatte es in einem verwandten Fall nur mäßig funktioniert. Kirch war der Büffel, der sie noch im Todeskampf niedertrat.

"Gute Bohnen!", rufen sich die Cowboys in Mel Brooks' "Blazing Saddles" anerkennend zu. Wenn im Markt viel heiße Luft für Blasen und Volatilität sorgt, fühlt man sich an Brooks Cowboys erinnert, die es durch Flatulenzaufwind aus ihren Sätteln hebt. "Gute Bohnen!" - das Trostwort für die nächsten Turbulenzen des Dax. Mit einer Tier-Metapher hat das ungarische Spekulationsgenie André Kostolany das Verhältnis von Realwirtschaft und Börse erklärt. Es ist das Bild vom Mann, der mit seinem Hund am Strand spazieren geht. Der Mann geht gemächlich voran, der Hund springt immer wieder vor und zurück. Aber beide bewegen sich in die gleiche Richtung. Der Mann ist die reale Wirtschaft, der Hund die Börse.

Ein anderes, exotisches Tier hat auch außerhalb der letzten Erzählung Thomas Manns "Die Betrogene" Bekanntheit in der Finanzwelt erlangt. Es ist der von dem libanesischen Börsenhändler Nassim Nicholas Taleb zum Titel gekürte Schwarze Schwan. Immer wieder passiert das vollkommen Unerwartete; unter zehntausend Schwänen ist einer schwarz. Bei Thomas Mann ist der schwarze Schwan ein Omen des tragischen Liebestods. Bei Taleb hackt er dem Anleger überraschend ein Auge aus. Man weiß nicht, wann er angeschwommen kommt, aber vertraut besser nicht auf Berechenbarkeit. Neunzig Prozent hoch konservativ, zehn Prozent hoch riskant. Wer so anlegt, der schützt sich vorm Schwan oder lässt sogar seinen Nachen von ihm ziehen wie Lohengrin.

© SZ vom 18.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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