Spanische Literatur:Untertassengroße Augen

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Milena Busquets' Roman "Auch das wird vergehen" ist in viele Sprachen übersetzt worden. Gelegentlich wird die Autorin mit Françoise Sagan verglichen. Das aber ist ungerecht. Und zwar für Françoise Sagan.

Von Ralph Hammerthaler

Ob jemand Bücher wirklich möge, hat die Mutter der Erzählerin Blanca einmal gesagt, sei daran zu erkennen, wie er sie anschaue, aufschlage und zuklappe, die Seiten umblättere. Das kann gut sein, aber es gibt halt Bücher und Bücher, und oft ist man froh, sich beim Lesen nicht zuschauen zu müssen, weil das Gesicht sonst verrutschen würde, finster, spöttisch oder gemein. Das Anschauen und Aufschlagen verrät nichts als die Lust, das Zuklappen nichts als die Wahrheit.

Milena Busquets, 1972 in Barcelona geboren, ist die Tochter der 2012 verstorbenen Schriftstellerin und Verlegerin Esther Tusquets. Ihr zweiter, im Original 2015 erschienener Roman "Auch das wird vergehen" ist bereits in viele Sprachen übersetzt worden. Er scheint einen Nerv getroffen zu haben, durchaus bemerkenswert für eine Autorin, die sich schwertut, die Lust- und Schmerzzentren zu berühren, weil sie lieber im gelenkigen Ungefähren verweilt und so auch im Ungefährlichen. Ihre Prosa sieht Verstörung nicht vor, Erschrecken schon gar nicht.

Die leichte Sprache hat Busquets von Françoise Sagan, aber nicht das Zögern und nicht die Scham

Der Roman setzt mit der Beerdigung von Blancas Mutter an. Diese Mutter spricht Blanca immer wieder direkt an, als hätte sie ihr zu Lebzeiten nicht das Entscheidende gesagt. Sie liebt sie, und sie hasst sie. "Angeblich suchen die meisten Frauen in den Männern ihren eigenen Vater, ich suche dich, ich habe das sogar schon getan, als du noch am Leben warst." Ja, wenn das so ist, dann sind jetzt Küchenpsychologen gefragt. Weil sie ein vielfach bewundertes leichtes Buch geschrieben hat, lässt die Autorin in einem Dialog sagen: "Leichtigkeit ist eine Form von Eleganz." - "Du verwechselst Leichtigkeit mit Schlendrian." Etwas Schlendrian wäre schön gewesen, etwas Schlamperei noch schöner. Doch stattdessen plappert Blanca ihre Nöte als Vierzigjährige ungebrochen daher, ja, weil auch die Schönheit wird vergehen, und sie späht nach gut aussehenden Männern, mit denen sie Sex haben könnte und teils auch hat, um ihre Trauer um die Mutter zu betäuben.

Trotzdem, etwas ist schon dran, wenn auch mit Abstrichen, an dem Hinweis der spanischen Zeitung El Mundo auf "eine moderne Françoise Sagan". In Sagans "Bonjour Tristesse" heißt es zu Beginn: "Ich zögere, diesem fremden Gefühl, dessen sanfter Schmerz mich bedrückt, seinen schönen und ernsten Namen zu geben: Traurigkeit. Es ist ein so ausschließliches, so egoistisches Gefühl, dass ich mich seiner fast schäme." Die leichte Sprache hat Busquets tatsächlich von Sagan, aber nicht das Zögern und nicht die Scham. Sie will unterhalten, am besten so, wie eine Frauen- oder Modezeitschrift unterhält, gern auch, indem sie die Kleidung der Figuren detaillierter beschreibt, als dem Roman guttut. All das sucht sie existenziell zu erden mit der süßen Banalität des Titels "También esto pasará", "Auch das wird vergehen".

Die Härte, die in ihrem Thema steckt, wird, Busquets würde sagen, "elegant" umspielt, und wenn, dann kommt sie nur in Klammern gesetzt zur Sprache. "Weißt du, was mit das Schlimmste ist am Altwerden?", soll die Großmutter die Enkelin Blanca einmal gefragt haben. "Wenn du merkst, dass das, was du erklärst, keinen mehr interessiert." Anders als Sagan riskiert Busquets kitschige Bilder. Gestaunt wird mit "untertassengroßen Augen", und weil ihr das so gut gefällt, später gleich nochmals "mit Augen wie Untertassen". Das Meer sei spiegelglatt und glitzere, "als wären alle Sterne der vergangenen Nacht hineingefallen". Und weil das Meer etwas Großes ist, muss es für große Gefühle herhalten: "Ich frage mich, ob das Meer mein letzter Geliebter sein wird."

Die Mutter liegt in Cadaqués begraben, dem ehemaligen Fischerdorf, heute ist es ein Touristenort. Man denkt Dalí! Duchamp! Breton! - aber Busquets' Blanca versammelt im Sommerhaus der Familie nur ihre beiden Ex-Ehemänner, dazu die Kinder, Freunde und Freundinnen. In der Nachbarschaft verzehrt sich ein Liebhaber nach ihr, aber als es darauf ankommt, bringt er es so schnell hinter sich, dass Blancas Lust ungestillt bleibt. Dafür schafft sie es, mit ihrem Ex Óscar ins Bett zu gehen. Das Gespräch am Morgen danach gehört zu den stärkeren Seiten des Romans. Óscar sagt: "Ja, wir lieben uns sehr. Aber wir ertragen uns nicht." Arme Blanca.

Milena Busquets: Auch das wird vergehen. Roman. Aus dem Spanischen von Svenja Becker. Suhrkamp Verlag, Berlin 2016. 170 Seiten, 19,95 Euro. E-Book 16,99 Euro.

© SZ vom 29.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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