Sommerroman:Ein Beiboot namens "Komm zurück"

Lesezeit: 2 min

Vier Menschen auf einem Einmaster in der Bucht von Capri. Im Roman "Ein Sommer" des Franzosen Vincent Almendros erleben wir, wie einfach die Liebe sein will und wie nah sie immer am Sturm segelt.

Von Cornelius Wüllenkemper

Als ihr Segelboot in der Bucht von Capri sich in der leichten Abendbrise wiegt, müssen sie ihre Weingläser festhalten. Während gedämpfter Partylärm und Gesprächsfetzen von den unweit ankernden Yachten herüberklingen und Jean über die Selbstverjüngung bestimmter Quallenarten theoretisiert, fragt sich sein jüngerer Bruder Pierre erstmals, ob es eine gute Idee war, den Urlaub gemeinsam zu verbringen. Mit seiner neuen Freundin Lone ist Pierre der Einladung seines Bruder und dessen Lebensgefährtin Jeanne zum Segeln gefolgt, auch wenn er von Anfang an nicht verstanden hatte, "was daran einfach war". Immerhin war er vor sieben Jahren mit Jeanne liiert und hat seit dem Moment der Trennung nie wieder ein Wort mit ihr gewechselt. Das Beiboot des kleinen Seglers trägt auch noch den Namen "Reviens - Komm zurück". Kann das gut gehen?

In seinem zweiten Roman "Ein Sommer", der in Frankreich 2015 als "schönster Roman des Frühlings" mit dem Prix Françoise Sagan ausgezeichnet wurde, erzählt der französische Autor Vincent Almendros eine einfache Geschichte über komplizierte Verhältnisse. Während in seinem viel gelobten Erstling "Ma chère Lise" über die Liebe eines Privatlehrers für seine ebenso verwöhnte wie frivole Schülerin beständige Ortswechsel die Erzählung strukturierten, spielt "Ein Sommer" fast ausschließlich in der Enge des Einmasters. Was zunächst ein eher konventionelles Kammerspiel erwarten lässt, das mehr oder minder spannungsreiche Verwicklungen zwischen zwei Paaren mit dem Spiel erotischer Anziehung in sommerlich-sinnlicher Atmosphäre verbindet, entpuppt sich hier als beeindruckendes Beispiel dafür, wie man eine seit Goethes "Wahlverwandtschaften" oft erprobte Handlungskonstellation gekonnt neu belebt.

"Das Meer ist ein Raum der Strenge und der Freiheit", hat Victor Hugo geschrieben, und dieser Gedanke liegt auch Almendros' Meeresroman zugrunde. Die vermeintlich grenzenlose Freiheit des Meeres und die sommerliche Leichtigkeit der Urlauber, die sich schnell als beklemmend eng und bleischwer erweisen, kontrastiert Almendros mit der knappen Strenge seiner Sprache und bleibt damit der Tradition seines Verlages Les Éditions de Minuit ebenso treu wie dem Stil seines Förderers Jean-Philippe Toussaint. Till Bardoux hat Almendros' sorgfältig durchkomponierten Text nun stilgetreu ins Deutsche übertragen. Die Welt der Segler, das offene Meer, das "unruhiger und feindseliger" ist als erwartet, das nächtliche Bad im von Plankton leuchtenden Wasser, jede kleinste Bewegung und jeden wortlosen Blick an Bord beschreibt Almendros' misstrauischer Ich-Erzähler Pierre ebenso aufmerksam wie distanziert. Das vorsichtig Tastende dieser kurzen Erzählung erschafft vom ersten Satz an eine hypnotisierende Atmosphäre der Unsicherheit und Bedrohung. Von den vier Passagieren erfährt man äußerst wenig, aber es ist ausreichend, um jede Nuance in dieser höchst sensiblen Konstellation mitzuerleben.

Liegt es am Motor, der Probleme macht, am aufziehenden Unwetter oder an der subtilen, schreiend-stillen Spannung an Bord, dass dieser Segeltörn in bezaubernder Kulisse zwischen Neapel, Capri und Agropoli frühzeitig endet? Womöglich ist das eigentliche Ziel längst erreicht, ohne dass es jemand bemerkt hätte. Knapp, treffsicher und wirkungsvoll zieht Vincent Almendros die Fäden langsam zu einem überspannten Knoten zusammen, und so ist auch die erlösende Pointe auf der letzten Seite. Wie könnte ein Urlaubsroman mehr Vergnügen bereiten?

© SZ vom 07.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: