So schlecht, also echt:Isch respektiere nuhur disch

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Schiefe Töne, große Gefühle: Warum die Mediengesellschaft das kostbare Gut Aufmerksamkeit an Nichtskönner wie die "Grup Tekkan" vergibt.

Tobias Kniebe

Vielleicht steckt nur Zufall dahinter, vielleicht auch eine höhere Ironie des Schicksals. Jedenfalls treffen an diesem Wochenende zwei Termine im deutschen Musikgeschäft zusammen, die gerade in ihrer Koinzidenz ein größeres Thema ins Blickfeld rücken:

Die Frage nämlich, wie die übersättigte Mediengesellschaft heutzutage ihr kostbarstes Gut verteilt, die Aufmerksamkeit des Rezipienten; wie die Akkumulation dieser Aufmerksamkeit über Nacht den Status eines "Stars" oder "Superstars" schafft; und wie sie - auf zunehmend ironische und absurde Weise - diesen Status ständig neu definiert.

Auslöser sind zwei Plattenveröffentlichungen, die beide seit Freitag in den Läden stehen und um einen Platz in den Charts kämpfen: "I Still Burn" von Tobias Regner und "Wo Bist Du, Mein Sonnenlicht" von Grup Tekkan.

Die Macht der Gelangweilten

Für jene Unbeirrten, die Privatsender und Boulevardmedien grundsätzlich aus ihrem Gesichtskreis verbannen und auch keine Freunde haben, die sie per E-Mail mit Fundstücken aus dem Internet beglücken, hier eine kurze Zusammenfassung:

Tobias Regner ist ein 23-jähriger Kommunikationsdesigner aus Freilassing, der gerade die dritte Staffel des Gesangswettbewerbs "Deutschland sucht den Superstar" gewonnen hat; Grup Tekkan besteht aus den drei Jugendlichen Ismael, Selcuk und Fatih aus Germersheim, die mit einer im Internet vorgefundenen Melodie und einem teilweise geklauten Text ein Liebeslied aufgenommen und dazu ein Video gedreht haben, das sie auf einer privaten Seite ins Netz stellten.

Dort wurde es von passionierten Surfern aufgespürt, kopiert, publik gemacht und an Freunde verschickt, die den Fund ihrerseits an Freunde weiterleiteten, bis ihnen ein gewaltiger Schneeball-Effekt innerhalb weniger Tage einen Plattenvertrag bescherte.

Diese beiden Erfolgsgeschichten erzählen von zwei grundsätzlich verschiedenen Systemen der Aufmerksamkeitsgewinnung, die unabhängig voneinander existieren, am Ende aber das gleiche Ergebnis produzieren: aus vollkommen Unbekannten werden innerhalb kürzester Zeit Prominente, die sich gewinnbringend vermarkten lassen. Tobias Regner ist das Produkt eines Medienkonzern-Netzwerks, das unter anderem den Sender RTL, den Musikkonzern Sony BMG, die Bild-Zeitung und eine Ich-AG namens Dieter Bohlen umfasst.

Restlos durchgeplant, brachial und künstlich

Hier vernetzen sich die größten Quotenbringer mit dem Ziel, aus zehntausenden von Bewerbern einen auszuwählen, den sie dann feiern und hochschreiben können und der ihre Investitionen in Gala-Shows, Studioproduktionen, Titelseiten und Werbekampagnen schließlich dadurch rechtfertigt, dass er vom Publikum als so genannter Superstar anerkannt wird. Dass dies ein restlos durchgeplanter, brachialer und natürlich zutiefst künstlicher Prozess ist, braucht man nicht extra zu betonen.

Als Alternative dazu existiert jedoch ein zweites Netzwerk, dass seine weltumspannende Macht bisher nur gelegentlich aufblitzen lässt. Man könnte es nach dem New Yorker Internet-Aktivisten Jonah Peretti das "Gelangweilt-bei-der-Arbeit"-Netzwerk, oder "Bored at Work Network", nennen. Es besteht aus dem Millionenheer moderner Computerarbeiter, die von Berufs wegen Zeit im Internet verbringen, Adressbücher mit zahllosen E-Mail-Adressen besitzen und sich den grauen Büroalltag dadurch auflockern, dass sie sich gegenseitig lustige Fundstücke aus dem Web schicken.

Homepages, Songs oder Videos, die in diesem Netzwerk den zuverlässigen Impuls auslösen, den "Weiterleiten"-Button zu betätigen, können innerhalb von Stunden oder Tagen berühmt werden - wie es bei Grup Tekkan geschah. Schon früher sind auf diese Weise Weltstars des Webs entstanden: Mahir, der türkische Bademeister; Gary, der "Numa Numa Dancer"; Ghyslain, das "Star Wars Kid". Als Plattenverträge oder Talkshow-Anfragen kamen, waren sie schon längst in aller Munde.

Beide Wege zum Ruhm ähneln sich insofern, als sie mit dem traditionellen Prozess der Star-Werdung (jahrelanges Touren und Hochdienen im Showgeschäft, mühsamer Aufbau einer Künstlerpersönlichkeit) nichts mehr zu tun haben.

Ansonsten sind sie jedoch fundamental verschieden: Zur "Superstar"-Sendung gehört die Ideologie der modernen Personalplanung: Die Kandidaten müssten "hart an sich arbeiten", heißt es immer, teamfähig und freundlich sein und vor allem klaglos die erst einmal miserablen Arbeitsbedingungen der Konzerne akzeptieren.

Staunen oder Gelächter

Ziel ist die Normerfüllung. Die Stars des "Bored At Work"-Netzwerks dagegen zeichnen sich gerade durch ihre Abweichung von allen Normen aus: Sie sehen meist haarsträubend aus, lassen jegliche Scham vermissen, verkennen ihre öffentliche Wirkung vollkommen und treffen beim Singen - wie die Grup Tekkan - im Zweifelsfall keinen einzigen Ton. Sie werden überhaupt nur berühmt, wenn sie beim Betrachter entweder ungläubiges Staunens oder Gelächter hervorrufen.

Beide Lager sind naturgemäß verfeindet, insbesondere die Absolventen der Superstar-Tortur giften bereits öffentlich gegen die "Nichtskönner" der Grup Tekkan. Wenn es um inhaltliche Leere, fehlendes Charisma und die Abwesenheit einer künstlerischen Identität geht, geben sich die beiden Star-Modelle jedoch nichts. Schon eher erscheint der Erfolg von Grup Tekkan als eine Art Verhöhnung des "Superstar"-Prinzips, man könnte es aber auch als eine Art logische Folge deuten.

Je rücksichtsloser das Netzwerk der Medienkonzerne diktiert, wer überhaupt Star sein und der Öffentlichkeit präsentiert werden darf, je industrieller die Zurichtung junger Talente vorangetrieben wird, desto größer muss die Sehnsucht nach einer Alternative sein, die man als authentisch verstehen könnte. Gerade in der Popmusik ist dieses Ideal so oft verfälscht, verhöhnt und restlos entwertet worden, dass es sich nun offenbar in die reine Negation geflüchtet hat. Man startet "Wo Bist Du Mein Sonnenlicht" im Internet und verspürt eine lang vermisste Sicherheit: Das ist so schlecht, das muss echt sein.

So schlecht! Das muss echt sein

Am Ende ist es dieses Gefühl, das einen den "Weiterleiten"-Button anklicken lässt. In den gegelten Haarsträhnen, den einstudierten Gesten und verschleierten Blicken der Tekkan-Jungs blitzt etwas Reales auf, die ganze Unausgegorenheit und Peinlichkeit von Teenagerphantasien, die Sehnsucht, mehr zu sein als man ist - alle Gefühle, die einen im "Jugendzentrum Hufeisen" von Germersheim überfallen können. Genau das spüren wir, direkt unter der Oberfläche unseres Lachens über Verse wie "Isch respektiere nuhur disch".

Und so gilt für die Komik des "Bored At Work"-Netzwerks das, was für alle große Komik gilt: Sie hat eine tragische Fallhöhe, die frühere Stars des Internets bereits eingeholt hat. Der dicke Gary aus New Jersey, der 2005 zu rumänischen Klängen so unvergleichlich dämlich vor seiner Webcam tanzte, floh vor dem Weltruhm ins Eremitentum seines Jugendzimmers; und der junge Ghyslain aus Quebec, der 2003 mit selbstgebasteltem "Lichtschwert" einen Jedi-Ritter darstellen wollte, ist heute in psychiatrischer Behandlung. Nun heißt es Daumen drücken, dass Ismael, Selcuk und Fatih, die sich momentan noch unschuldig ihres Ruhm erfreuen, besser davonkommen

© SZ vom 25.03.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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