Sleaford Mods:Stilvoll schimpfen

Lesezeit: 4 min

Eine Begegnung mit Jason Williamson, dem Sänger der "Sleaford Mods", zum neuen Album "All That Glue".

Von Juliane Liebert

Ein kleines Mädchen blickt neugierig in die Kamera, dann bewegt sich das Bild nach oben, ihr Vater schaut stirnrunzelnd aus dem Bildschirm. Er trägt einen Bademantel über einem schwarzen Shirt. "Ich wünsche Boris Johnson nur das Schlechteste", sagt er.

Der Mann heißt Jason Williamson und ist der Sänger der Sleaford Mods, deren neues Album "All That Glue" diesen Freitag erschienen ist. "All That Glue" ist eine Retrospektive. Sage und schreibe 22 Tracks finden sich auf dem Album. Darunter von Fans seit Jahren geliebte "Perlen" wie "Job Seeker" und "Jolly Fucker", die bisher teilweise nur illegal auf Youtube zu erstreamen waren. In der ersten Hälfte folgt Hit auf Hit. Scheppernde Drumcomputer und trockener E-Bass, weitgehend variationslos geloopt. Dazu wütender Sprechgesang. Musik, die allen und jedem den Mittelfinger zeigt.

"Wir wollten ein kleines Sammlerstück zusammenstellen für Leute, die die Band wirklich lieben", sagt Williamson. Aus seinem Mund klingt "Sammlerstück" wie etwas, das man wirft. "Eine Art Einführungspaket für Leute, die die Band nicht wirklich kennen, wenn du weißt, was ich meine." Er sagt gerne "Wenn du weißt, was ich meine". Im Verlauf des Gespräches verkürzt es sich zu einem alle drei Sätze eingestreuten "Weißt du?".

Die Sleaford Mods sind bekannt für ihren eigenwilligen Stil und Williamsons Pöbeleien. Die Liste derer, die er beschimpft hat, ist lang. Brian Eno zum Beispiel ("Brian Eno, what the fuck does he know? Doodling away with a fuckin' alien haircut mate"). Und natürlich Boris Johnson. Dass der Primeminister sich selbst mit dem Coronavirus ansteckte, nachdem er demonstrativ erklärt hatte, er würde weiter Corona-Patienten die Hand schütteln? "Das hat zum Hass auf Johnson beigetragen. Auch auf die Leute, die ihn gewählt haben. Denn sie wissen, was sie getan haben, weißt du?" Er lehnt sich auf der Couch zurück, auf der er inzwischen sitzt. "Es ist einfach eine Shit Show. Ich wünsche ihm das Schlimmste. Denn ihm sind alle egal in diesem Land. Für ihn bedeutet Regieren einfach, einen Auftrag zu erledigen, um ein bisschen mehr Geld zu verdienen und den Status Quo für seine Peer Group zu sichern. Nichts anderes, weißt du. Er sät einfach nur Hass, Unmut und Spaltung."

Ein „kleines Sammlerstück, für Leute, die die Band wirklich lieben“ nennt Jason Williamson (hier mit Partner Andrew Robert Lindsay Fear) das neue Album der "Sleford Mods". (Foto: Simon Parfrement)

Aber der Sänger pöbelt nicht nur - seine Aussagen sind zuweilen durchaus konstruktiv. Bei Konzerten gellt sich Williamson die Seele aus dem Leib, während sein Mitstreiter Andrew Robert Lindsay Fearn ungerührt danebensteht, seine Beats laufen lässt und Bier trinkt.

Kann Musik Rache sein? Ist Wut eine Lösung? "Sie ist eine gute Energie", sagt Williamson

Die Musik der beiden wirkt simpel, aber schafft es doch gekonnt, zwischen Punk und Hip-Hop zu balancieren. Manchmal geht sie mit ordentlichem Geschepper auf einer der beiden Seiten zu Boden, doch sie steht immer wieder auf. Williamson, der ursprünglich Schauspieler werden wollte, erzählt, er habe am Anfang versucht zu rappen. Dann brauchte er Refrains - und die Refrains klangen eher punkig. Seine Einflüsse sind Two Lone Swordsmen. Andrew Weatherall und Keith Tenniswood. "Die haben Post-Punk mit Techno, Rockabilly, House Music und Dub gemischt."

Sie werden oft mit The Fall und deren erratischem Frontman Mark E Smith verglichen. Williamson hat ihn nie getroffen, sagt er, aber "Mark E Smith hat ein paar nette Sachen über uns gesagt, worauf ich ziemlich stolz bin. Er ist ein anspruchsvoller Mann, oder war es. Er nahm sein Handwerk ernst. Die Leute können über ihn sagen, was sie wollen, aber er war verdammt ernsthaft. Ein Innovator. Das ist es, was mich an Kreativität anspricht. Einmalig zu sein und etwas so sehr lieben, dass du deine eigene Version davon erschaffst. Für mich hat ihn das ausgemacht."

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Während er spricht, hat ein zweites, kleineres Kind angefangen, langsam die Couchlehne hinter ihm entlangzuklettern. Es trägt einen Onesie und wirkt extrem gut gelaunt.

"Rich List", der vierte Song auf dem Album, beginnt wie ein zynisches Kinderlied. Eine Melodie, von der man sich ein Cover von einem dieser Kinderchöre wünschen würde. Düdelüü, Rich List Gettin Bigger! Dazu flucht Williamson "I don't give a fuck about your life". Was würde er mit den Reichen machen, wenn er entscheiden könnte? "Wir wären in keiner Position, ihnen irgendetwas anzutun, weil wir ihnen sowieso nichts angetan hätten, weißt du?" Das Kind klettert weiter, er muss lachen. "Liegt es in der menschlichen Natur, andere Menschen kontrollieren zu wollen? Andere Menschen täuschen zu wollen? Mehr Geld machen zu wollen als andere Leute? Vielleicht ist das so. Es ergibt sich nur nun mal so, dass in vielen Fällen wir die Opfer sind und sie nicht. Ich sage 'Opfer', obwohl ich wie viele andere in einer ziemlich privilegierten Position bin ..." Er schhht seinen lärmenden Kindern zu, " ... aber gleichzeitig musst du jeden Tag aufstehen und einen Weg finden, die Miete zu zahlen".

Wie verteidigt man seine Autonomie in dieser feindlichen Welt? Kann Musik Rache sein? Wut eine Lösung? "Sie ist eine gute Energie. Ich glaube nicht, dass sie eine Lösung ist, aber manche Leute brauchen einfach ein paar Ohrfeigen, oder? Manche Leute muss man einfach aus dem Verkehr ziehen."

Wer stilvoll schimpft, tut das, indem er die eigene Lächerlichkeit dabei zelebriert. In "Bleak House" von Charles Dickens gibt es eine Figur, die sich oft furchtbar aufregt und die herbesten Verwünschungen raushaut, aber dabei immer einen kleinen Vogel auf der Schulter sitzen hat - und eigentlich natürlich lebensfreundlich und zugewandt ist. Der kleine Vogel der Sleaford Mods ist gut verborgen, aber wenn man genau hinhört, kann man ihn in jedem ihrer Tracks aufspüren. Und er singt herzallerliebst.

© SZ vom 16.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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