Sigrid Nunez:Im Bett mit Apollo

Lesezeit: 3 min

Was bedeutet es, wenn der Hund einen Knausgård-Band zerkaut? Sigrid Nunez' Geschichte über die Trauer um einen Lebensmenschen, dessen dänische Dogge und die Literatur.

Von Frauke Meyer-Gosau

Sigrid Nunez: Der Freund. Roman. Aus dem Englischen von Anette Grube. Aufbau Verlag, Berlin 2020. 233 Seiten, 20 Euro. (Foto: Verlag)

Frauen und Männer, Mensch und Tier, Liebe, Tod, Trauer und Trost. Und dazu dann noch die Literatur, ihre Autorinnen und Autoren, insbesondere deren Verhältnis zum Selbstmord - dass Sigrid Nunez sich in ihrem Roman "Der Freund" zu wenige Themen vorgenommen hätte, kann man wirklich nicht sagen. 2018 gewann sie den National Book Award mit diesem Buch und hatte zu dem Zeitpunkt bereits 40 000 Exemplare verkauft: ein Publikumsliebling schon vor dem Preis. Das muss Gründe haben.

Der beste und älteste Freund der Ich-Erzählerin hat sich umgebracht. Beide kannten einander aus einem universitären Schreibkurs, den er leitete: ein britisch-jüdischer Autor und attraktiver Mann, der überzeugt war, eines Tages den Literatur-Nobelpreis zu gewinnen.

Wie viele andere Studentinnen, unter anderen ihre beste Freundin, landete auch die Erzählerin dieses Romans im Bett des Dozenten. Doch anders als andere wurde sie weder seine Ehefrau, noch verlor sie während der folgenden Jahrzehnte den Kontakt zu ihm - sie blieben Freunde, ein platonisches Liebespaar, auf dessen Beziehung die zweite Ehefrau des Schriftstellers rasend eifersüchtig war. Ehefrau Nummer drei wird es dann sein, die die Freundin ihres Mannes davon unterrichtet, dass er, der die Universität aus Resignation über den geistigen und literarischen Horizont seiner Schreib-Studenten schon vor einer Weile aufgegeben hatte, Selbstmord begangen hat.

Zu den Konsequenzen dieses Todes gehört, dass die Freundin von ihrem Freund etwas erbt: eine dänische Dogge, die er einst beim Joggen im Park gefunden und der er den Namen Apollo gegeben hatte. So nimmt seinen Lauf, was dieses Buch erzählen soll: Wie die Trauer um den Toten Frau und Hund verbindet, wie sie erst Vertrauen und dann eine innige Zuneigung zu einander fassen, obwohl die Erzählerin eigentlich bislang eine Katzen-Liebhaberin war. In ihrer 45-Ouadratmeter-Wohnung in Manhattan darf sie laut Mietvertrag keinen Hund halten, prompt wird sie beim Eigentümer angezeigt. Doch überwindet Liebe bekanntlich jedes Hindernis, und das gilt hier auch für die Hausordnung.

Wenn die Ich-Erzählerin sich nicht gerade an ihre gemeinsame Geschichte mit dem durchgängig als "du" angeredeten Freund erinnert, an seine Ehefrauen, seine unstillbare Leidenschaft für junge Studentinnen, erzählt Nunez von Hunden und Menschen und zitiert, was andere Autorinnen und Autoren entweder über Hunde, über das Schreiben oder über den Selbstmord zu sagen hatten. Dann wieder rekapituliert sie Besuche beim Tierarzt und beim Menschen-Therapeuten, Begegnungen mit den drei Ehefrauen des Freundes oder ihre eigenen, leider auch eher unerfreulichen Erfahrungen als Lehrerin in universitären Creative-Writing-Programmen.

In seiner Trauer, seinem Stolz, seiner Zuwendung und Würde wächst einem das Tier ans Herz

Das alles ergibt ein umstandsloses Hinübergleiten von einem Thema zum anderen, gern eingeleitet von Wendungen wie "Dann fällt mir ein ..." oder "Ich denke an ..." - so gelangt das "Ich" vom "Du" zu den narzisstisch-ruhmsüchtigen Schriftstellerkollegen oder zu Studenten, die nicht verstehen, weshalb sie für ihren Kurs andere Autoren lesen sollen, obwohl es doch sie sind, die gelesen werden wollen. Ihre Geschichten handeln selbstverständlich von ihnen selbst: "Worüber soll ich denn sonst schreiben?"

Das ist ja letztlich auch Sigrid Nunez' eigener Fall in diesem Buch, und sie gräbt aus, was Virginia Woolf, Toni Morrison oder Christa Wolf zum literarischen Schreiben über lebende Personen zu sagen hatten, während Apollo sein Urteil über diesen Literatur-Typus unmissverständlich ausdrückt, indem er einen Knausgård-Band zerkaut. Überhaupt wächst der Hund in seiner allmählichen Annäherung an das schreibende "Ich" dem Leser in seiner Trauer, seinem Stolz, seiner Zuwendung und Würde ans Herz - und darüber dann unvermeidlich auch seine Erzählerin, die ebenfalls etliche Klippen der inneren und äußeren Art zu überwinden hat, bevor sie den unbeirrbar in ihrem Bett übernachtenden Hund schließlich ausdrücklich auffordert, dort doch bitte liegen zu bleiben.

All dies ist zweifellos sehr nett. Teils traurig, dann wieder rührend oder komisch, auch mal selbstironisch, immer wieder eifrig belesen und nebenbei mit kleinen Bissigkeiten gegen Nunez' eigene Branche gespickt. Sogar eine Schreibkrise wird gegen Ende überwunden, wenn die Seite 217 weiß bleibt und in deren Mitte steht "Besiege die leere Seite!", nachdem Nunez zuvor unerwartet versucht hatte, ihre so erkennbar aus dem eigenen Schriftstellerinnen-Leben gegriffene Geschichte doch noch als Fiktion erscheinen zu lassen. Nun sollte plötzlich der Freund seinen Selbstmordversuch überlebt (und in der Psychiatrie an einem Schreibkurs teilgenommen) haben, und Apollo wäre in Wahrheit ein Dackel mit Namen Jip. Doch auch diese halbherzige kleine Kunst-Episode geht rasch vorüber - wohlbehütet in der Fürsorge seiner Erzählerin und von einem Schwarm weißer Schmetterlinge umflogen endet Apollos Leben in einem Spätsommer-Idyll.

Und warum sollte eine Geschichte, die so beherzt vom Höckchen aufs Stöckchen und wieder zurück gesprungen ist, denn nicht schließlich auch gut ausgehen? Die Tiere haben es allemal verdient.

© SZ vom 10.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: