Serienklassiker (Folge 12):Nur Gott hat fünf Finger

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Gelb, witzig und alle sind Linkshänder - seit sechzehn Jahren stellen sich die Simpsons der Hölle des Alltags. Die Serie ist pure Gesellschaftskritik im Zeichentrickformat. Aktueller Höhepunkt: das Halloween-Spezial.

Titus Arnu

Was für ein Wahnsinn. In Springfield, dem so harmlos wirkenden Wohnort der Simpsons, treiben sich Zombies, Massenmörder und mutierte Monster herum. Der bisher lammfromme Nachbar Flanders entpuppt sich als Teufel und versucht, Homer Simpsons Seele gegen einen Donut zu tauschen.

Eine schrecklich nette Familie, die Simpsons. (Foto: Foto: Reuters)

Hallo? Befinden wir uns wirklich im Nachmittagsprogramm, in einer Cartoonserie? Ja, aber die Simpsons sind weder eine normale Familie, noch handelt es sich um eine normale Cartoonserie. Außerdem ist wieder Halloween in Springfield, da zeigt Pro Sieben stets die besten Grusel-Episoden aus mittlerweile 17 Simpsons-Staffeln.

Die Serie ist seit 16 Jahren im deutschen Fernsehen zu sehen, länger als jede andere Trickfilmreihe. Das amerikanische Time-Magazine hat die Simpsons zur besten Serie aller Zeiten gewählt, es würde zu weit führen, alle Emmys und Annies und sonstigen Medienpreise aufzuzählen.

Amerikaner kennen die Simpsons besser als ihre Verfassung

Der Erfolg der Springfield-Saga um eine typisch amerikanische Durchschnittsfamilie ist höchst erstaunlich, denn der Simpsons-Erfinder Matt Groening macht sich über alles auf zynische Art und Weise lustig, was der abendländischen Kultur sonst als lobens- und schützenswert erscheint.

In den Geschichten aus Springfield wimmelt es von abgestumpften Konsumjunkies, patriotischen Waffennarren, unkritischen Fernsehsüchtigen, fetten Fast-Food-Opfern, unbelehrbaren Fortschrittsgläubigen, bösartigen Spießern und besserwisserischen Weltverbesserern. Das Personal der Serie ist eine Sammlung ätzender Karikaturen - eigentlich ist das Ganze eine unverhohlene Verunglimpfung des amerikanischen Fernsehpublikums.

Das tut der Popularität der Bewohner von Springfield keinen Abbruch. Eine Umfrage in den USA hat ergeben, dass die Amerikaner die Simpsons besser kennen als ihre Verfassung. Nur einer von vier US-Bürgern konnte mehr als eine der fünf Freiheiten benennen, die ihnen der Erste Zusatz zur Verfassung garantiert. Dagegen kennt mehr als die Hälfte die Namen von mindestens zwei Mitgliedern der Simpson-Familie.

Die Simpsons haben vier Finger, gelbe Haut und sind allesamt Linkshänder. Trotzdem können sich viele Zuschauer bestens mit den Figuren identifizieren, besonders mit Homer Simpson. Der Vater der seltsamen Sippe ist ein überzeugter Sesselfurzer, infantil, grenzdebil und fresssüchtig.

Er betrinkt sich nach Feierabend oft in Moes Taverne mit seinem Lieblingsgetränk, Duff-Bier. Sein Lebenstraum: das größte Sandwich der Welt zu verspeisen. Der Mann mit den drei Resthaaren, dem Bierbauch und dem IQ, der kleiner ist als seine Schuhgröße, arbeitet als Sicherheitsinspektor eines Atomkraftwerkes.

Serie für alle Altersklassen

Seine Kinder, der anarchische Bart, die hochbegabte Lisa und das Baby Maggie, sind ihm das Wichtigste, auch wenn er manchmal nicht weiß, ob er drei oder neun Kinder hat. Für die Übersicht ist schließlich Marge zuständig, die Frau mit der großen Turmfrisur und dem großen Herz.

Das Dasein der Familie Simpson ist so absurd, wie das Leben nun einmal ist: Die Guten verlieren, die Dummen haben Erfolg und die Klugen das Nachsehen. Die Arbeit nervt. Die Nachbarn auch. Das Geld reicht nicht. Alles geht immer schief. Aber all das ist noch lange kein Grund, den Humor zu verlieren. Im Grunde sind die Simpsons deshalb keine Zyniker, sondern herzensgute und dazu sehr lustige Leute.

Trotzdem fanden die Simpsons in Deutschland anfangs nicht genug Freunde, das ZDF zeigte nur die ersten drei Staffeln, allerdings im Kinderprogramm. Das war ein Grundmissverständnis, denn die Simpsons sind keine Kinderserie. In den USA läuft die Serie in der Primetime, Pro Sieben sendet sie am Vorabend. Da funktioniert sie nun ganz gut, die Kombination von Slapstick-Humor, Action und intellektuellen Anspielungen taugt für alle Altersklassen, die um diese Zeit vor dem Fernseher sitzen.

Ihren kulturellen Ritterschlag erhielt die Serie in Folge zehn der 15. Staffel, als der sagenumwobene amerikanische Schriftsteller Thomas Pynchon, der sich 40 Jahre nicht interviewen und fotografieren ließ, einen Gastauftritt hatte. Pynchon, dessen Leitthemen die Medienkonzerne und die zerstörerische Macht der Kulturindustrie sind, war als Trickfigur in einer Szene zu sehen, in der er ein Buch empfiehlt - mit seiner Originalstimme. Neben anderen Promis tritt in der Serie immer wieder Gott als Gaststar auf, der einzige Mann im Simpsons-Universum, der fünf Finger hat.

Die Anwesenheit von Gott in der Trickfilmwelt führt immer wieder zu philosophischen Erörterungen. Haben gelbe Trickfiguren mit Wurstlippen und Spiegeleiaugen überhaupt eine Seele? Im Fall der Simpsons lässt sich diese Frage eindeutig mit Ja beantworten. Fans wissen leider auch, dass zumindest Homer seine Seele sofort verkaufen würde. Sogar für einen halben Donut.

© SZ vom 26.10.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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