Serie "Stimmen aus Syrien":Der Zauber von Sabadani

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Wie wir nach Jahren endlich wieder einen Ausflug ins Umland von Damaskus machten, uns die Erinnerung an verschollene Freunde einholte und ich ein Geschenk bekam: Ein Heft mit Briefen syrischer Kinder an den lieben Gott.

Von Adel Mahmoud

Über Syrien wird viel geschrieben, aber wie sehen die Syrer selbst ihr Land? Wir haben Schriftsteller und Intellektuelle in Syrien gebeten, uns Texte und Gedanken zu schicken. Einer von ihnen ist der 1946 in Latakia geborene Journalist und Schriftsteller Adel Mahmoud. Er lebt seit 50 Jahren in Damaskus, hat 15 Bücher geschrieben, die meisten davon über den Krieg. Die Szenen, die er für uns schreibt, sind Fragmente einer zerbrochenen Wirklichkeit. SZ

Brief eines syrischen Jungen von sieben Jahren an Gott: "Lieber Gott, anstatt dass Du die Leute sterben lässt, und dann neue erschaffen musst, warum behältst Du nicht die, die Du vorher gemacht hast?"

Ein anderes Kind im selben Alter: "Lieber Gott, weißt Du, wer auf der Landkarte diese Linien um die Staaten gezeichnet hat?"

Ein drittes: "Lieber Gott, Kain und Abel hätten sich vielleicht nicht umgebracht, wenn ihr Vater jedem von ihnen ein eigenes Zimmer gegeben hätte. Ich habe es mit meinem Bruder ausprobiert, und es hat geklappt."

Und ein viertes: "Lieber Gott, danke für mein neu geborenes Brüderchen, mit dem Du uns gestern beschenkt hast. Aber meine Gebete an Dich galten doch einem Welpen. Ist da ein Fehler passiert?"

Diese Auswahl haben wir in einem kleinen, bunten Heft gefunden, das uns der Besitzer eines Restaurants in Sabadani anvertraut hat. Sabadani ist eine Kleinstadt im Gouvernement Rif Dimaschq, dem sogenannten Damaskus-Land im Südwesten Syriens, einst ein beliebtes Ausflugsziel mit vielen Hotels und Pensionen, die inzwischen der Krieg zerstört hat.

Sollte der Krieg irgendwann aufhören, so hatten wir geschlossen, werden wir wieder von Damaskus nach Sabadani fahren. Die Ketten der Panzer hatten die Straße aufgerissen, rechts und links fanden sich nur abgeholzte oder verbrannte Bäume, Kirschbäume, für die die Gärten dort berühmt waren, Walnussbäume und Feigen, von denen nichts übrig war als unsere Erinnerung an sie. Dabei hatte hier, entlang des Flusslaufs des Barada, der in sieben Nebenarmen nach Damaskus strömt, üppiges Grün jeden Quadratmeter Erde bedeckt.

Zwei Familien waren wir, die zum ersten Mal wieder in diese Gegend aufbrachen, der Schauplatz blutiger Kämpfe zwischen den Aufständischen und der syrischen Armee gewesen war. Die Zahl der Autos unterwegs war überschaubar, das Restaurant kaum besucht. Vor dem Krieg hätten wir ohne Reservierung kaum einen Platz bekommen.

Es war ein besonderer Ort. Wir Menschen sind keine Vögel, die im Käfig eines Restaurants zwitschern, in dem auf einem Rost ihre Artgenossen gegrillt werden. Der Ort, den wir von früher kannten, bot Musik und Gesang. Man hört den Bach, der unter dem Tisch die Kühle bis an die Füße trägt; es ist ein Ort, der Liebe, Frieden und das Klirren der Rotweingläser verbreitet; an dem das Lachen wie Flügel durch die Luft schwingt. Es ist aber auch ein Ort, an dem man sich an all jene Freunde erinnern muss, die geflohen oder umgekommen sind, eingesperrt oder entführt wurden. Ein Ort, an dem Kinder auf einer Schaukel schwingen, deren Quietschen von sieben Jahren Vernachlässigung kündet.

Der Besitzer des Restaurants übergab mir das Heft mit den Texten der Kinder. Er hatte es unter den Trümmern in einer Plastiktüte gefunden und mir anvertraut, weil ich Schriftsteller bin. Neugierig schlug ich es auf, während wir noch saßen, Bier tranken und endlich wieder den Geschmack der Grillspieße genossen, einen alten, lang zurückliegenden Geschmack.

Ich las meinen Reisebegleitern vor. Wie die Klassenlehrerin von ihren Schülern eine Definition von Liebe verlangt und eines der Kinder schreibt: "Wenn dich jemand liebt, spürst du das, weil er deinen Namen anders ausspricht als alle übrigen Menschen. Du spürst, dass dein Name geborgen und sicher in seinem Mund ist." Und auf einer anderen Seite: "Die Liebe ist es, die dich lächeln lässt, selbst wenn du todmüde bist." Sätze von Kindern zwischen sieben und zehn Jahren.

Wir sind von unserem Ausflug wohlbehalten zurückgekehrt. Das schönste Geschenk aber ist dieses Heft. Ich nehme an, der Besitzer hat es verloren, vermutlich dem Krieg entronnen wie wir auch. Und deshalb werde ich ihm auf Facebook eine Nachricht zukommen und ihn wissen lassen, dass sich sein Heft bei mir befindet, und dass er es eines Tages wiederbekommen kann, sollte er noch am Leben sein.

Aus dem Arabischen von Markus Lemke.

© SZ vom 16.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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