Scientology:Die Gehirnwäscher aus Hollywood

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Weil Sekten wie Scientology funktionieren wie Konzerne, ist der neue Markt Berlin für sie so interessant. Eine Stadt im Umbruch produziert mehr verlorene Seelen als satte Städte wie Hamburg oder München. Ein Besuch im deutschen Hauptquartier.

Andrian Kreye

Betritt man das deutsche Hauptquartier der Church of Scientology an der Otto-Suhr-Allee in Berlin Charlottenburg, schreitet man zunächst durch ein Spalier aus bunten Luftballons und Länderwimpeln. Leichtes Unbehagen beschleicht einen, schließlich ist in den letzten Monaten wieder viel geschrieben worden über die Sekte aus Hollywood. Über die Mobbing- und Gehirnwäschetaktiken, über die verschwörerischen Weltmachtpläne, und natürlich über den Filmstar Tom Cruise.

Im Kino: Tom Cruise
:Der Grinsemann

Spüren Sie, wie sich beim Anblick des grinsenden Tom Cruise Ihre Gesichtszüge entspannen? Für seinen neuen Film hat er sich eine andere große Grinserin angelacht - und auch Ihnen wird bald der Ernst vergehen. Die Bilder.

Ruth Schneeberger

Über den hat der Promi-Journalist Andrew Morton gerade ein Buch geschrieben, das den Filmstar als Bruder Nummer Zwei in der Hierarchie der Scientologen beschreibt, der seinen Film "Valkyrie" über den Hitlerattentäter Stauffenberg lediglich als trojanisches Pferd für seine Sektenarbeit in Berlin produzierte.

Betritt man die Zentrale als Passant, begegnet man im Empfangsbereich einem jungen Herrn in dunkelblauem Anzug, der höflich seine Hilfe anbietet. Die Atmosphäre in dem sechsstöckigen Glasbau ist kühl und sachlich. Stein- und Teppichböden sind in Grautönen gehalten, das Mobiliar in dezenten Schattierungen von Rot und Blau. Aufgedrängt wird einem nichts. Man muss schon fragen. Das tut man bei den Damen in der Abteilung für Tests und Einschreibung.

Das beste Buch für den Einstieg? "Dianetik - Der Leitfaden für den menschlichen Verstand". Gibt es da nicht diese Persönlichkeitstests? "Bitte folgen Sie mir." Man nimmt an einem Pult Platz, bekommt Bleistift, Radiergummi und die Fragebögen für die "Oxford Capacity Analysis", die aus 200 Fragen besteht.

Die Fragen kreisen immer wieder um die gleichen Schwächen - Nervosität, Hemmungen, Aggressionen, Unsicherheit. Das Ergebnis liefert ein Computer. Auf einer Tabelle ziehen sich Kurven nach oben - die Sollwerte. Nur eine Kurve geht nach unten - das Testergebnis. Das fällt bei bei Scientology immer schlecht aus. "Da können Sie aber noch viel an sich arbeiten", sagt die Beraterin und zeichnet mit dem Kugelschreiber warnende Pfeile in die Kurven.

Beunruhigend

So ähnlich funktioniert das auch bei Wahrsagern. Sie lesen einem für wenig Geld aus der Hand, finden dunkle, beunruhigende Vorzeichen, die man nur in einer zweiten, teuren Sitzung deuten lassen kann. So beginnt bei Scientology ein labyrinthisches System aus Kursen und Prozessen.

Zunächst wird man auf die Empore geleitet. Dort gibt es Kaffee, Kuchen und ein Gespräch in lockerer Runde. Ob man vielleicht einen Film sehen will? Im Erdgeschoss sind vier kleine Kinos. In einem läuft ein Interview mit dem 1986 verstorbenen Sektengründer L. Ron Hubbard. Man sieht den gewesenen Autor für Groschenromane im dunkelblauen Anzug in seinem Büro am Schreibtisch. Fast eine Stunde lang erklärt Hubbard seine Lehre. Die soll den Menschen befähigen, sein Potential zu vergrößern, seinen IQ zu heben, sein Schicksal zu kontrollieren. Eine wohlbalancierte Mischung aus Psychotechniken, Heilsversprechen und Spiritualität bietet er da an.

Als Hubbard das Buch "Dianetik" 1950 veröffentlichte und in den folgenden Jahrzehnten eine ganze Glaubensgemeinschaft darum herum konstruierte, bewies er allerdings nicht nur ein enormes Gespür für das Geschäft, sondern auch für den Zeitgeist. Während der fünfziger und sechziger Jahre löste sich die Sinnsuche in exotischen Religionen und modernen Technologien aus den Subkulturen. Was mit den spirituellen Reisen der Beatniks und Hipster begann, schwoll bald zu einer Welle der spirituellen Moden an, die ihren Höhepunkt in den unzähligen Sekten der sechziger Jahre und schließlich in der Esoterikbewegung fand.

Hubbard erkannte schon früh das Bedürfnis der Menschen, den technokratischen Fortschrittsglauben des zwanzigsten Jahrhunderts mit spirituellen Inhalten zu füllen, die nicht mehr an die Dogmen der traditionellen Weltreligionen gebunden waren. Einen gemeinsamen Feind hatte er auch schnell gefunden - die Psychologie, jene Wissenschaft eben, die den menschlichen Geist erstmals mit konkreten weltlichen Mitteln behandelte. Hier liegt auch die große Gefahr, die in jeder Sekte lauert.

Prinzipiell ist jedes Glaubenssystem eine Methode, den klaren Verstand auszuschalten. Richtet sich der Glaube jedoch gegen die Wissenschaft, kann das tödliche Folgen haben. Da lassen Makrobioten ihre Kinder verhungern, Zeugen Jehovas verweigern Bluttransfusionen, und auch das absolute Verbot der Scientology, Psychotherapie oder Psychopharmaka zu verwenden, hat schon zu Selbstmorden geführt, die man hätte verhindern können.

Hubbards Verteufelung der Psychologie hatte einen guten Grund: Die Scientology ist eine ins Religiöse überhöhte psychologisch-technische Weltanschauung. Und sie wird als solche wahrgenommen: Die American Psychological Association warnte ihre Mitglieder schon im September 1950 vor der Dianetik. Denn sie soll, wie die meisten spirituellen Techniken, Abhängigkeiten schaffen. Die Methoden sind sich ähnlich. Meist beruhen sie auf einer Gehirnwäsche, deren Muster schon der Psychiater Robert Jay Lifton in seinem Grundlagenwerk "Thought Reform and the Psychology of Totalism" von 1961 definiert hat.

Demnach gibt es acht Kriterien für diese Technik. Die Kontrolle der Beziehungen zur Außenwelt (Scientologen werden angehalten, sich von sogenannten unterdrückerischen Personen selbst in der eigenen Familie fernzuhalten); die Behauptung, die Gruppe habe höhere Ziele als der Rest der Welt (Scientology gilt als unfehlbare Lehre); die Beichte (Scientologen unterziehen sich regelmäßigen Tests mit dem E-Meter, einem Lügendetektor); ein Reinheitsgedanke (Scientologen befinden sich in einem lebenslangen Reinigungsprozess); die Lehre einer heiligen Wissenschaft (Scientology beansprucht einen Vorsprung vor den Naturwissenschaften); einen schwer verständlichen Jargon (schon das Buch "Dianetik" enthält ein 75-seitiges Glossar); eine Gruppendoktrin (die Gruppe ist wichtiger als das Individuum); sowie ein Heilsversprechen (Scientologen arbeiten auf eine Erlösung von den Seelen Außerirdischer hin, die nach den Lehren Hubbards jeden Menschen daran hindern, zum wahren Menschen zu werden). Hubbards Clou: Der Normalzustand des Menschen ist der einer Gehirnwäsche, nur die Scientology kann ihn daraus erwecken.

Der antisemtische Kern

Das aber ist ein Geschäft. In den USA ist es unter dem Mantel einer Kirche auch noch steuerfrei. Und weil Stars als Werbefiguren von Anfang an Kern der Expansionsstrategie Hubbards waren, bekommen sie auch eine Sonderbehandlung. Das Celebrity Centre am Fuße der Hügel von Hollywood ist dafür essentiell, ein elfenbeinfarbenes Gebäude, das mit seinen Erkern und Türmchen an ein französisches Landschloss erinnert. Hier dürfen sich die Stars in luxuriösem Ambiente von der Welt zurückziehen, die doch immer nur etwas von ihnen will - Autogramme, Pressekonferenzen, Fotos, Verträge. Hier bekommen sie - Frieden, Hilfe, Zuspruch.

Nun funktioniert nicht nur Scientology so. Das Kabballah Center, das seine Gehirnwäschepraktiken auf jüdischem Mystizismus aufbaut, gewann Madonna, Britney Spears, David und Victoria Beckham für sich. Auch Kabballah will nach Berlin, auch wenn das Zentrum bisher lediglich aus einem Büro in Mitte besteht. Außerdem hat die Transzendentale Meditation des Guru Maharischi Mahesh Yogi Großes vor in Berlin. Die Sekte, die einst die Beatles für sich gewinnen konnte, will gemeinsam mit dem Regisseur David Lynch auf dem Teufelsberg eine Universität errichten und dazu noch 150 Tempel im ganzen Land.

Warum ausgerechnet Berlin? Weil Glaube ein Milliardengeschäft ist, sind Sekten wie Konzerne aufgebaut. Berlin ist ein neuer Markt, denn eine Stadt, die sich im Umbruch befindet, wird mehr verlorene Seelen produzieren als satte Städte wie Hamburg oder München.

Bei so viel Geld lauern natürlich Gefahren. Doch im Kern der Debatte lauern dieselben Muster wie im Kulturpessimismus, der sich gegen Hollywood richtet und in den Vereinigten Staaten eine dämonische Nation zu erkennen meint. Da wird eine Geldkultur verteufelt, eine Kultur der Gleichmacherei bezichtigt und eine Weltverschwörung vermutet. Das aber sind die Muster des Antisemitismus aus dem 19. Jahrhundert. Das findet man umgekehrt auch in den eigentümlich leidenschaftlichen Verteidigern von Tom Cruise.

Jubelt man ihn als Retter der deutschen Geschichte aus Hollywood hoch, so erhofft man sich Erlösung von der Last der Vergangenheit - von einem, der stellvertretend für die alten Feindbilder steht. Das macht eine nüchterne Auseinandersetzung unmöglich.

Tom Cruise wird weder das deutsche Ansehen im Ausland retten noch Deutschland für die Scientology erobern. Wenn er Glück hat, schafft er es noch, seine Karriere mit einem Oscar zu retten.

© SZ vom 31.1.2008/rus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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