Schwarzsein und Männlichkeit in den USA:Fremde Bettkanten

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"A Lucky Man" ist der Originaltitel der Geschichtensammlung von Jamel Brinkley: Ein glücklicher Mann. (Foto: Arash Saedinia)

Zur offenen Diskussion in den USA über Männlichkeit und die körperliche Gefahr, in der Schwarze noch immer schweben, trägt Jamel Brinkley in "Unverschämtes Glück" feinsinnige Storys bei.

Von Ulrich Rüdenauer

Die beiden Partycrasher in der Erzählung "Wie prickelnd" haben eindeutig etwas vor. Jedenfalls wollen sie sich nicht mit irgendwelchen "Trockenübungen" zufriedengeben wie bei den üblichen Collegepartys an der Upper West Side. In Brooklyn ist Ernstfall, hier sollen endlich einmal die "verschärften Konsequenzen" des Nachtlebens erfahrbar werden. Die beiden möchten nah an eine "Klippe" treten, von der man im Zweifel todesmutig herunterspringen könnte. Was insbesondere heißt: Sie würden es vorziehen, am nächsten Morgen nicht im eigenen Bett aufzuwachen, sondern lieber über eine fremde Bettkante hinweg auf eine aufregende Erfahrung zurückzublicken.

So beginnt die erste von neun Geschichten in Jamel Brinkleys Debüt "Unverschämtes Glück" - einem, um es gleich vorweg zu sagen, ziemlich aufregenden Buch, weil darin die Form der klassischen Short Story meisterlich genutzt wird, um vom gegenwärtigen Leben junger schwarzer Männer in den großen Städten der USA zu erzählen. Die Geschichten spielen in der New Yorker Bronx und in Brooklyn, und Gegenwart ist durchaus ein bisschen weiter gefasst. Im Fall der uneingeladenen Partybesucher sprechen wir vom Jahr 1995. Was allerdings keinen allzu großen Unterschied zum Jahr 2019 macht. Denn die Geschichten handeln auch davon, dass es eine Kontinuität in der afroamerikanischen Wahrnehmung von Welt und männlichem Körper gibt, die auf gewisse Weise vererbt und von einer rassistisch strukturierten Gesellschaft mitgestaltet wird.

"Schon seit wir bei der Party aufgeschlagen waren, lag ich meinem Freund mit tragischem Zeug über meinen Vater in den Ohren." All das tragische Zeug, das sich zwischen Vätern und Söhnen ereignen kann, das Familien und Beziehungen bersten lässt, sich als Erinnerungen und Traumata in die eigene Existenz fortschreibt, bestimmt jede einzelne von Brinkleys Geschichten. Auch in "Wie prickelnd" spielt es eine tragende Rolle. Der Ich-Erzähler und sein Freund Claudius haben es auf Iris und Sibyl abgesehen, die eine aus Belize, die andere Dominikanerin; auf solche Abstammungslinien legen die Jungs wert. Und noch auf ein paar andere Dinge mehr. "Wir zogen beide eher üppige, kurvige Frauen vor - teils, vermute ich, weil schwarze Typen das angeblich tun. Die Vorliebe ist gleichsam Bestätigung einer schwarzen Herkunft, unsere Art, uns Authentizität zu bescheinigen."

Man kann sich bei Annäherungsversuchen allerdings kaum ungeschickter anstellen als die beiden Abenteurer - dem Ich-Erzähler gelingt es einfach nicht, mit der traurigen Geschichte von seinem Dad hinterm Berg zu halten. Ein kapitaler Stimmungskiller. Erstaunlicherweise schaffen sie es dennoch, von den Mädchen mit nach Hause genommen zu werden. Und da beginnen die Seltsamkeiten: Auf dem Weg zu deren Wohnung stellt sich ihnen ein aggressiver, zum Angriff bereiter Hund entgegen - eine Art Wiedergänger des "White Dog" aus Samuel Fullers antirassistischem Film von 1982. Claudius und der Erzähler weichen verängstigt zurück, während Sibyl und Iris den Köter mit einem gezielten Schlag gegen die Schnauze und mit Tritten gegen den taumelnden Körper zur Strecke bringen.

Der eigene Körper, gespiegelt im anderen, lässt das männliche Gehabe in sich zusammenstürzen

Als sie schließlich zu viert im Bett landen, werden die Jungs gezwungen, sich voreinander auszuziehen und einander zu betrachten, was zu einer merkwürdigen Verschiebung des Blicks führt. Das Bewusstsein des eigenen Körpers, gespiegelt im anderen, lässt das erlernte männliche Gehabe in sich zusammenstürzen. Am Morgen liegen Claudius und der Erzähler nebeneinander auf der Matratze, und all das "tragische Zeug", das sie mit sich herumschleppen, wird wie in einer Epiphanie ersichtlich. "Mit einem Mal kam eine extreme Hässlichkeit zum Vorschein, offenbarte sich in seinem Gesicht ein anderes Gesicht, und das Gleiche muss er bei mir gesehen haben. So ist es mit Menschen in meinem Leben gewesen, mit Menschen, die ich geliebt habe: Etwas verflüchtigt sich still und leise, es tut sich ein Riss so unmerklich auf, wie zwei Lippen sich öffnen, etwas ist morgens anders, so plötzlich und sachte, dass du dich fragst, wie sie überhaupt jemals schön sein konnten."

Es ist eine interessante Dekonstruktion, die hier stattfindet und sich mit der in den letzten Jahren in den USA immer wieder aufkeimenden Debatte um den schwarzen Männerkörper, um "Black Masculinity" verbinden lässt. Den Essayisten Ta-Nehisi Coates interessierte in seinem gefeierten, an James Baldwin angelehnten Brief an seinen Sohn "Zwischen mir und der Welt" die Frage, wie man in einem schwarzen Körper leben soll, und das in einem "traumverlorenen Land" - einem Körper, der ständig in Gefahr ist, ausgelöscht zu werden durch Polizeigewalt, und sich deshalb unnahbar und stark macht, sich panzert gegen Willkür und Rassismus. Furcht sei es, die in den Posen der harten Ghetto-Kids aufscheine, in den Ringen und Anhängern und bodenlangen Mänteln mit Pelzkragen. "Wenn ich heute an diese Jungs denke", schreibt Coates in dem Essay, "sehe ich nur die Angst, und ich sehe, wie sie sich gegen die Geister der bösen alten Zeit wappnen, in der der Mississippi-Mob sich um ihre Großväter scharte, um die Zweige des schwarzen Körpers abzufackeln und wegzuschneiden."

Etwas von dieser Angst sitzt auch in den jungen Helden, die durch Brinkleys Brooklyn streifen. Sie würden gerne lernen, in dieser verwirrenden Welt Männer zu werden - und sind dabei orientierungslos und allein auf sich gestellt. "Pop hätte genau die richtigen Worte gefunden, mich beruhigt oder zum Lachen gebracht. Aber der war weg, und er beantwortete auch meine Briefe nicht mehr", heißt es in der Erzählung "J'Ouvert, 1996", in der zwei Brüder sich aufmachen, dem Geheimnis des mystisch-karnevalistischen, aus der Karibik importierten Straßenfests auf die Spur zu kommen. Sie geraten auf ihrem Initiationstrip in eine Runde älterer Männer, die der Erzähler zu Ersatzvätern stilisiert, Verkörperungen all dessen, was das verschwundene Familienoberhaupt repräsentieren sollte. Er lauscht ihren Worten mit der Andacht eines Jüngers. "Eine Zeit lang sprachen sie über den Präsidenten, obligatorische Mindeststrafen und das 'Three-Strikes-Gesetz". Sie machten sich über O. J. Simpson lustig. Dann ging es um die Zahl der inhaftierten Schwarzen und wie sehr alles aus dem Lot war."

Sechzig Prozent aller jungen schwarzen Männer ohne Highschool-Abschluss, kann man bei Ta-Nehisi Coates lesen, landen in den USA im Gefängnis. Man muss eine solche Zahl auch mitdenken, wenn man Brinkleys Texte liest. Obwohl diese Erzählungen alles andere sind als soziologische Proseminare - die gesellschaftliche Realität ist darin immer präsent. Sie formt die Figuren. Und zugleich wird sie durchbrochen von überraschenden Wendungen. Wie in der Auftaktgeschichte, in der Frauen - women of colour - den Männern etwas über ihre Zerbrechlichkeit beibringen. Das passt nicht in deren Selbstbild und zeigt doch genau die Verwundbarkeit, denen ihre Körper ausgesetzt sind. Das Besondere an den Geschichten: Körperlichkeit wird nicht einfach nur betrachtet, sondern sie wird befragt und angezweifelt und erschüttert.

Immer wieder schleichen sich Irritationen in Jamel Brinkleys feinsinnige, absolut zeitgenössische und zugleich geschichtsbewusste Storys, die von Uda Strätling nuancenreich ins Deutsche gebracht wurden. Die wankelmütige Beziehung zwischen zwei Halbbrüdern zeigt, wie unmöglich es ist, angesichts eines zeitversetzt erlebten Missbrauchs durch den Vater eine gemeinsame Sprache zu finden. Dieses Verstummen wird wiederum körperlich überwunden - beim Capoeira, jener brasilianischen Martial-Art-Kunst, bei der die Protagonisten in einem aus Menschen gebildeten Kreis ihren ritualisierten Kampftanz aufführen, während Musik und Worte tranceartige Stimmungen erzeugen.

Bilder, imprägniert vom paternalistischen Stolz der ehemaligen Sklavenbesitzer

In "Froh bin" werden ein paar schwarze Jungs aus den ärmeren Gegenden der Stadt in den Ferien nach New Jersey gekarrt, um dort bei wohlhabenden, philanthropisch gesinnten Weißen einen Tag im Paradies zu verbringen - in einem riesigen Garten mit Pool, Rutsche und Haustieren. Was für eine Enttäuschung, als die Kinder diesmal bei einer aufgedonnerten schwarzen Frau landen, die es aus den elenderen Vierteln in eine weiße Vorortsiedlung geschafft hat: "Eine ganze Stunde zu fahren, um am Ende lediglich in einer größeren Version des eigenen Zuhauses zu landen, war ihm unangenehm." Subtil werden die Desillusionierungen und Träume auseinandergenommen, und am Ende bleibt eine Lektion der Gastgeberin über die weißen Nachbarn, die wahrscheinlich erst langsam in den kleinen Erzähler einsickern wird: "'Die Johnsons ... Tja, die haben in ihrem Salon lauter Fotos, Schnappschüsse von allen Kids von Feriencamps wie St. Rita's, die über die Jahre in ihrem Pool waren. So viele Jungen - braune Jungen wie du - mit breitem Grinsen, immer auf Kommando den Daumen hoch.' Sie reckte selbst ihren Daumen empor. 'Die Fotos sind in so schicken Holzrahmen und hängen gleich neben den Plaketten und Trophäen und Auszeichnungen. Die Johnsons zeigen die Fotos allen ihren Gästen. Verstehst du?'" Diese Bilder sind noch imprägniert vom paternalistischen Stolz der ehemaligen Sklavenbesitzerklasse.

Es ist großartig, wie Brinkley auf kurzer Strecke - die Geschichten sind nie viel länger als 40 Seiten - in die unverstandenen Erinnerungen seiner Figuren vorstößt, durch Andeutungen, Gesten, miteinander verknüpfte Motive. Und wie sich so die Verstörungen und die Einsamkeit, die Verluste und Verzweiflung nach und nach zwar nicht auflösen, aber erkennbar werden.

Das "unverschämte Glück", von dem der Titel seines 2018 für den National Book Award nominierten Bandes spricht, findet sich übrigens nicht in der gleichnamigen Erzählung. Aber vielleicht in der letzten Story des Buches. Sie handelt von einer vollkommen unwahrscheinlichen Beziehung zwischen einem jungen Mann und einer alten, dementen Frau, die einander nicht suchen und doch in ihrer Verlorenheit finden, zu einer Zeit, als ihre angestammte Community gentrifiziert und von wohlhabendenden weißen Kids okkupiert wird. Das ist, ganz am Ende, fast eine Liebesgeschichte.

Jamel Brinkley: Unverschämtes Glück. Aus dem Amerikanischen von Uda Strätling. Kein & Aber. Zürich 2019. 330 Seiten. 22 Euro.

© SZ vom 23.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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