Schusstechnik und Popkultur:Hipness der Verachtung

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In New York wurde der Rapper Raymond "Ready" Martinez von der Polizei getötet, weil seine Pistole versagte. Lag es daran, dass er die Waffe wie in der Popkultur üblich quer hielt?

Bernd Graff

Am vergangenen Donnerstag wurde der mutmaßliche Kleinkriminelle und noch mutmaßlichere Rapper Raymond "Ready" Martinez am New Yorker Times Square von der Polizei erschossen. Der Mann hatte zuvor mit einer Maschinenpistole, einer MAC-10, zwei Schüsse auf die Beamten abgegeben. Danach versagte die Waffe, weil die Patronenhülse seines letzten Schusses das Auswurffenster blockierte. So wurde er von den Polizisten getötet.

Denzel Washington in "Training Day". (Foto: Foto: Warner)

In amerikanischen Medien wird nun darüber spekuliert, was Readys Waffenblockade ausgelöst haben könnte. Die New York Post glaubt, dass Martinez selber schuld an seinem Tod sei: Seine Pistole habe nur blockiert, weil er sie seitlich gehalten habe.

Zwar mit ausgestrecktem Arm, aber die Faust um 90 Grad gegen den Uhrzeigersinn gedreht. Das habe er getan, weil er es für "cool" hielt. Ein Gangsta-Rapper also, der unbedingt Zeichen setzen wollte: Nicht nur mit güldenem Mammut-Bling-Bling um den Hals, sondern auch mit der ultralässigen Schusstechnik. Dummerweise sei er dadurch Opfer der Schwerkraft geworden: Die Geschosshülsen könnten dann nicht nach oben aus der Kammer fliegen, sondern werden von ihrem eigenen Gewicht daran gehindert.

Readys Schuss- und Schlussgeste, da sind sich die Kommentatoren einig, will eigentlich ein Doppelschlag sein: Einerseits hält man die Hand wie bei einem Faustschlag, der geraden Rechten. Schießtechnisch dokumentiert die Geste andererseits eine Geringschätzung des Gegners. Denn klar ist: So kann man nicht ernsthaft zielen. Ein linksdrehender Schütze macht sich gar nicht erst die Mühe, sein Gegenüber ernsthaft ins Visier zu nehmen.

Sei es, weil er die Pose für wichtiger erachtet als die Gefechtssituation, in der er sich akut befindet. Sei es, weil er seinen Gegner verhöhnen will: Offenbar glaubt er ja, ihn sogar mit einer seitlich und leicht nach unten gehaltenen Waffe in Schach halten zu können. Und dabei kann man ihm auch noch den ungehörigen Zeigefinger entgegenstrecken, während man auf ihn feuert. Einer Studie des FBI zufolge schauen 60 Prozent der ballernden Kleingangster nicht einmal, wohin sie schießen. Der Gunshot als Geste des Ennuis und der an Überheblichkeit grenzenden Leidenschaftslosigkeit im Gefecht. Pure Anmaßung und Ausdruck eines eher jovial interpretierten Verhältnisses zu Bedrohung und Gewalt.

Sofort sind die Referenzen gefunden für diese nachlässige, ja nihilistisch wirkende Arroganz. Computerspiele kommen gleich in den Sinn, in denen hypertrophe Helden das verdrehte Zielen, kombiniert mit kühlem Lächeln und ein bisschen Pixelblut als Quasi-Standard des Tötungs-Narrativs für den Cyberspace etabliert haben.

Readys finale Blockade

Antonio Banderas in "Desperado", Brad Pitt in "Seven", Quentin Tarantino in "From Dusk till Dawn", all diese popkulturellen Pistolero-Ikonen sollen die "Gewehrs-"Leute sein für die Hipness der ballernden Verachtung. Eine Technik, die seit den neunziger Jahren für den Film offenbar auch deswegen gern angewandt wird, weil man die Gesichter der Stars unverstellt von ihrer Wumme, aber - genauso wichtig! - zusammen mit ihr in Nahaufnahme ablichten kann. Nur wenn der Schütze derart die Pistole hält, sieht das Publikum gleichzeitig die tödliche Mündung und die nicht blinzelnden Eis-Augen des Helden.

Slate.com weiß es dann noch besser. Brian Palmer erinnert dort an den Film "One Eyed Jacks", in dem Marlon Brando 1961 als Westernheld brillierte, der erstmals nicht genretypisch und locker aus der Hüfte schoss wie John Wayne, die große alte Dame des Wilden Westens, sondern der den ebenso disparaten Sideways-Stil bevorzugte. So machte es ihm Eli Wallach 1966 in "The Good, The Bad and The Ugly" also eigentlich nur nach.

Keine Erwähnung findet bei diesen Autoren indes ein New-York-Times-Artikel aus dem Jahr 1995. Darin wurde anlässlich der Premiere des Films "Copycat" der Frage nachgegangen, warum Holly Hunter hier eine Kommissarin spielt, die den Polizei-Standard - aufrecht stehend, zwei Hände an der Waffe, Arme in eindeutigem "V" - in einer Szene verwirft, um ihrem jüngeren Partner das einarmige, verdrehte Abfeuern als Methode der "cooleren Power und Kontrolle", wie sie sich ausdrückt, ans Herz zu legen.

Die Times, die fälschlicherweise den Film "Menace II Society" von 1993 als Beginn der wenig zielführenden Schießmarotte ansetzt, befragte dazu sogar einen Film-Wissenschaftler, der zu Protokoll gab, dass Pistolenschüsse und -gesten in Filmen symbolische Stenographien der dargestellten Charaktere seien: Das "Gunplay" sei ebenso sprechend wie Gestik, Mimik, Sprache und Kleidung der Helden. Außerdem sehe die neue Technik "einfach gut aus" und komme an, wie die mannigfaltigen Gunner-Szenen in "The Usual Suspects" dokumentierten. Dass diese gefilmte Lässigkeit nachweislich Einfluss auf die Schusstechniken realer Gangs und Gangster ausübe, müsse man freilich als Ausweis purer Idiotie und Naivität bezeichnen - schließlich hat man die Waffe damit weniger unter Kontrolle, was wiederum bedeutet, dass man kaum treffen kann.

Der Slate-Autor Palmer widerspricht der New York Times vehement: Soldaten der beiden Weltkriege hätten die Seitwärtstechnik bewusst eingesetzt, um schneller mehr Gegner unter Feuer setzen zu können. Der Rückstoß etwa einer Mauser C96 sei so gewaltig gewesen, dass er wenig geübten Schützen ihre Waffe nach oben verriss, so dass ein zweiter Schuss, so er denn schnell ausgeführt wurde, in die Wolken ging. Darum feuerte man fast kategorisch seitwärts, um wenigstens horizontal mehr Bedrohungs- und Verteidigungspotential entwickeln zu können, da man eben die zweiten Schüsse so nicht mehr über die Köpfe der heranstürmenden Bataillone setzte.

Was immer Readys finale Blockade verursachte, man wird sie der Schwerkraft kaum anlasten können. Zwar liegt das Auswurffenster seiner Pistole oben, wenn man sie horizontal hält. Doch ist die Wucht, mit der die Hülse aus der Waffe gestoßen wird, allemal größer als die Erdanziehung, die dies nicht zu verhindern vermöchte. Vermutlich hat Ready einfach dieselbe Nachlässigkeit bei der Wahl seiner Waffe und Munition obwalten lassen wie bei seiner Schusstechnik. Sie wäre immer blockiert gewesen, ganz gleich, welche Haltung Ready auch immer bewahrt hätte.

© SZ vom 16.12.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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