Schubert auf CD:Lichte Spiele

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„Was mich reizt, sind die unbekannten Schätze“, sagt William Youn. (Foto: Irène Zandel/Sony Classical)

Gesamteinspielungen der Klaviersonaten Franz Schuberts sind selten. Jetzt hat William Youn eine begonnen und startet mit dem Schlussstück.

Von MICHAEL STALLKNECHT

Von Franz Schuberts Klaviersonaten gibt es bis heute nicht allzu viele Gesamteinspielungen, was einige Gründe hat. Etwa die Beliebtheit von Schuberts Impromptus oder "Wanderer-Fantasie", bei denen der Übergang zur Form der Sonate durchaus fließend ist. Oder dass sich die meisten Pianisten vor allem auf die letzten drei Sonaten stürzen, die, von Schubert zwei Monate vor seinem Tod abgeschlossen, die Aura des Spät- und Abschiedswerks umgibt. Doch kann man wirklich von einem Spätwerk bei einem sprechen, der schon mit 31 Jahren gestorben ist? Auch Pianist William Youn, 37 Jahre alt, zweifelt hörbar an dieser These in seiner jetzt begonnenen Gesamteinspielung (Sony), die er fast schon todesmutig ausgerechnet mit der letzten, der B-Dur-Sonate beginnt.

Durchaus freundlich nimmt er das Eingangsthema, die hüpfenden Triolen des Kopfsatzes, erst in der Wiederholung stellt sich leichte Verschattung ein. Doch es bleibt ein Schwebezustand zwischen Bangen und Hoffen, selbst im tieftraurigen langsamen Satz, in dessen Mittelteil Youn die Heiterkeit entdeckt, nach der Schubert sich ein Leben lang sehnte. Das hat den großen Vorteil, dass das Stück nicht zerfällt, weil die beiden letzten, eher beschwingten Sätze nicht wie bei vielen Pianisten als etwas lapidares Anhängsel erscheinen. Im Gegenteil: In ziemlich rasanten Tempi steigert sich bei Youn hier die Hoffnung in ein Delirium, eine Vision der Freude, die bei Schubert vielleicht schlicht die Vorfreude darauf war, noch weitere solcher Meisterwerke schreiben zu können.

Er habe "durchaus ein bisschen Angst gehabt", die Einspielung gerade mit diesem Werk zu beginnen, sagt Youn. Aber es sei ihm richtig erschienen, wie bei einem Roman, der quasi mit einem Abschiedsbrief anfange und damit alles Vorausgegangene anders kontextualisiere. Wie sehr das aufgeht, zeigt sich, wenn Youn unmittelbar im Anschluss die erste Sonate D 157 des 18-jährigen Schubert spielt. Auch hier findet er bereits diesen eigentümlichen Schwebezustand der Gefühle, nicht zuletzt in den melancholischen Dreierrhythmen des langsamen Satzes, die immer wieder löchrig werden. So scheinen Kontinuitäten auf, die keine strenge Abgrenzung eines Spätwerks erlauben.

Dass diese frühe E-Dur-Sonate mit einem Menuett endet, also nach klassischem Formgesetz als unvollendet zu gelten hat, gehört zu den Schwierigkeiten einer Gesamteinspielung dazu. Auf seinem ganz eigenen Weg zur Sonate, der sich für Schubert vor allem in Abgrenzung zum noch lebenden Beethoven vollzog, hat er neben elf vollendeten Sonaten viele Einzelsätze und unvollständige Satzfolgen hinterlassen. Was hier als gültig gelten darf, muss jeder Interpret für sich entscheiden.

Youn singt die Oberstimmen mit einem zarten und weichen, aber keineswegs kernlosen Anschlag aus

"Was mich reizt, sind die unbekannten Schätze", sagt Youn. Wie etwa das herrliche Fragment in fis-Moll D 571. Schubert zu spielen, hat Youn erst an der Musikhochschule Hannover von Karl-Heinz Kämmerling gelernt. Bei diesem legendären Klavierprofessor schloss der gebürtige Koreaner seine Ausbildung ab, nachdem er zuvor nach Boston gegangen war. Wobei Kämmerling bei drei Komponisten durchaus Zweifel zu äußern pflegte, ob man sie überhaupt lehren könne: bei Wolfgang A. Mozart, Frédéric Chopin und eben Schubert. Es sind gerade diese drei, mit denen Youn in den letzten Jahren den größten Erfolg hatte. Bereits 2017 hat er eine Gesamteinspielung von Mozarts Klaviersonaten abgeschlossen, die für ihre Klarheit und Natürlichkeit hoch gerühmt wurde.

Das lichte Spiel Youns hört man nun auch bei Schubert etwa in der A-Dur-Sonate D 664, die bei ihm nach dem ausgedehnten Spaziergang an einem Sommertag klingt. Youn singt die Oberstimmen mit einem zarten und weichen, aber keineswegs kernlosen Anschlag aus, was seinem Spiel den poetischen Grundzug gibt. Er vergisst darüber nie den Unterbau, die plastische Darstellung des Stimmengeflechts und der harmonischen Entwicklung.

Mozart und Schubert verbindet vielleicht am stärksten, dass sie keinerlei falschen Nachdruck vonseiten des Interpreten vertragen. Der ist Youn völlig fremd, auch im Gespräch, wo er nicht mit Thesen um sich wirft, sondern eher konkret und aus der Situation heraus auf Fragen regiert. Schuberts Musik ist schließlich eine, die sich im Gegensatz zu der Beethovens nicht dem Erreichen eines Ziels verschreibt. Dass darin seine Stärke liegt, musste der Komponist freilich erst für sich herausfinden. Weshalb die vielen Wiederholungen und Sequenzen im Kopfsatz der ersten Sonate noch ratlos wirken, während Schubert später gerade in diesem Kreisen seinen Stil findet. Weil Youn diese Wege voller Acht- und Aufmerksamkeit mitgeht, gelingt ihm der große Bogen der letzten Sonate, bei der allein der Kopfsatz zwanzig Minuten dauert, in denen der Hörer zunehmend der Welt abhanden kommt.

© SZ vom 14.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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