Schaut auf diese Bahnen!:Ruinenromantik mit Pandas

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Die Berliner Verkehrsbetriebe wollen Weltkulturerbe werden - wie das Taj Mahal. Selbstironie oder Einsicht?

Von Lothar Müller

Als vor nicht allzu langer Zeit im Berliner Zoo Panda-Zwillinge geboren wurden, dauerte es nicht lange, bis der Werbeabteilung der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) dazu ein flotter Spruch eingefallen war. Die Pandas "wären das perfekte Maskottchen unserer Busflotte: Wenn man die Hoffnung verloren hat, dass überhaupt noch was kommt, kommen plötzlich zwei". Die Selbstironie ist das Markenzeichen der hyperaktiven Werbeabteilung. Alle Verspätungen, alle Unfreundlichkeiten des Personals, allen Stillstand auf Baustellen, auf denen die Eröffnungsdaten künftiger Aufzüge für Menschen, die es schwer haben mit Treppen, immer weiter nach hinten geschoben werden, schmilzt die Selbstironiemaschine kalt lächelnd in die Mythologie des BVG-Berlin ein.

Wer aber ist der Ruhepunkt inmitten der schnell geschnittenen Sketche mit Menschen aller Hautfarben, jedweden Geschlechts und jeden Milieus, der gute Geist inmitten der sich ständig neu erfindenden Metropole? Natürlich die BVG selbst. Jedenfalls im neuesten Clip der Werbeabteilung. Sein Gegenstand ist das Projekt der BVG, in die Weltkulturerbe-Liste der Unesco aufgenommen zu werden, also an die Seite der neapolitanischen Pizza und des deutschen Orgelbaus zu gelangen.

Zum Konzept gehört das Spiel mit der Ungewissheit, ob es sich um eine ernsthaften Bewerbung oder einen neuen Gag der Werbeabteilung handelt. Also kann, wer den Clip anklickt, sich auch in eine Unterschriftenliste zur Unterstützung der Bewerbung eintragen. Zehntausende Berliner haben das schon getan. Nun ist die Verkehrsinfrastruktur der großen Städte unzweifelhaft seit dem 19. Jahrhundert ein Laboratorium der Urbanität, ein rhythmisches Förderband, das Arbeiter und Angestellte mit ihren Arbeitsplätzen, einsame Herzen mit unverhofften Bekanntschaften verkuppelt. Den hinreißendsten Werbefilm dazu gibt es seit 1930, "Menschen am Sonntag" von Billy Wilder, Robert Siodmak und Edgar E. Ulmer, die charmanteste Liebeserklärung des Kinos an die Berliner Verkehrsbetriebe, die seit 1929 "BVG" heißen.

Das erfährt man auch auf der Kurzstreckenfahrt in die Vergangenheit, die zur Kampagne gehört. Aber an die Unesco kann dieses beiläufige Augenzwinkern in Richtung Geschichte nicht adressiert sein. Die BVG bewirbt sich mit der Mythologisierung der Gegenwart, einem Berlin-Bild, das nicht von dieser Welt ist. Und hofft im Abspann, bald "an der Seite von Machu Picchu und Taj Mahal" zu stehen. Das eine ist eine Ruinenstadt, das andere ein Mausoleum.

© SZ vom 11.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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