Schauspiel Köln:Besser Sterben in Syrien

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Von einem, der im Kreis seiner Lieben dahinscheiden möchte: "Heimwärts" ist ein eigentlich unmögliches Roadmovie von Ibrahim Amir am Schauspiel Köln, das eine wilde, dysfunktionale Kleingruppe zusammenbringt - und eine Leiche.

Von Cornelia Fiedler

"Wenn ich so etwas gefühlt habe wie Heimat, dann war's immer im Flieger", sagt der junge Physiker Khaled. Weder seine Geburtsstadt Aleppo noch sein Wohnort Wien können für ihn einlösen, was die Sehnsucht behauptet. Ihn schickt der Wiener Dramatiker Ibrahim Amir, selbst syrischer Kurde, in seinem neuen Stück "Heimwärts" auf die Suche nach dieser imaginären "Heimat". Mit dabei ist eine dysfunktionale Kleingruppe - und eine Leiche. Schauspiel-Intendant Stefan Bachmann inszeniert in Köln die Uraufführung dieses antipatriotischen Roadmovies, das an der türkischen Grenze ausgebremst wird.

Amir hat sich innerhalb weniger Jahre mit gewagten Komödien über diejenigen Themen einen Namen gemacht, die eigentlich sämtliche Alarmglocken der Political Correctness zum Schrillen bringen müssten: eine Familie, die beim Ehrenmord an der eigenen Tochter scheitert in "Habe die Ehre" 2014, dann jugendliche Dschihadisten in "Stirb, bevor du stirbst" 2015, Schwulenfeindlichkeit unter Geflüchteten in "Homohalal" 2017.

In "Heimwärts" beschließt der todkranke, in Wien lebende Kurde Hussein (Axel Pape), dass er in seinem syrischen Geburtsort sterben will. Seine Familie dort ist für ihn im Alter zum Inbegriff von Geborgenheit geworden - oder aber auch Syrien zu einem Land, in dem man derzeit vor allem eines kann: sterben. Dass die Verwandten den schrulligen Onkel mit den Mozartkugeln bei seinen früheren Syrien-Besuchen immer als Fremden empfanden, verdrängt er erfolgreich.

Die Lage spitzt sich zu, als der kranke Hussein schon kurz vor der Grenze stirbt

Neffe Khaled (Peter Miklusz), ebenfalls Wahlwiener, muss ihn begleiten. Er hat für die Reise auf dem Landweg einen Krankentransporter samt türkisch-österreichischem Arzt und deutscher Pflegerin organisiert. Die Lage spitzt sich zu, als Hussein kurz vor der Grenze stirbt und der kleine türkische Beamte, der den Totenschein ausstellen soll, anfängt, seine Macht unverhohlen auszuspielen.

Wo Amir langsam eskaliert und seine Figuren erst unter Druck zu Karikaturen ihrer selbst werden lässt, setzt Regisseur Stefan Bachmann von Anfang an auf Überzeichnung: Melanie Kretschmann spielt die transsexuelle Krankenschwester Simone als mies gelaunte Prollette, Arzt Osman ist bei Jörg Ratjen unsympathisch dauergenervt. So ist es weder überraschend noch komisch, wenn beide sich im Streit als extrem vorurteilsbeladen entlarven. Der tote Hussein wiederum verwickelt Khaled ständig in surreale Diskussionen über Identität, Zugehörigkeit, Kriegsdienst und Einsamkeit.

Während die Gruppe sich allmählich selbst zerfleischt, holt Yuri Englert als schlaksiger Hitlerfan und Klischee-Grenzer einen Geheimdienstkollegen, gespielt von Niklas Kohrt, zur Verstärkung. Willkürlich nehmen sie die Reisenden fest, erniedrigen und verprügeln sie, bis die Meldung über einen Putschversuch das Treiben stoppt und neue, potenziell tödliche Probleme aufwirft. Doch auch dieses irre Finale funktioniert samt Slapstick-Bemühungen nicht recht als Politsatire auf Erdoğans entfesselten, autoritären Staat. Vielleicht, weil diese Fiktion wirkt, als könne sie jederzeit doch wieder von der Realität überholt werden.

© SZ vom 12.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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