Schauplatz Zürich:Hillary Hahn im Partydress

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"Tonhalle late" ist die wohl erfolgreichste Werbeveranstaltung für klassische Musik der Schweiz und zieht Scharen junger Leute an: Nach einer Stunde mit Orchester legt ein angesagter DJ auf.

Von Charlotte Theile

Wer nicht weiß, was an diesem Freitag in der Zürcher Maaghalle gespielt wird, würde vielleicht auf ein Karriere-Dinner der nahe gelegenen Universität tippen. Viele junge Menschen, manche im Anzug, andere Business Casual, einige sehen nach Wochenende und Party aus. Drinnen erwartet die jungen Leute ein klassisches Orchester. Jeder Platz ist besetzt. Es ist die wohl erfolgreichste Werbeveranstaltung für klassische Musik der Schweiz, genannt Tonhalle late. Seit einigen Jahren zieht das ehrwürdige Zürcher Konzerthaus regelmäßig Scharen junger Leute an. Der Trick dahinter ist einfach: Konzertbeginn ist 22 Uhr - und nach einer Stunde klassischer Musik legt ein angesagter DJ auf.

Dirigent Andrés Orozco-Estrada weiß, dass viele zum ersten Mal ein klassisches Konzert besuchen. Freundlich sagt er, dass man ja manchmal das Gefühl habe, etwas sei so wichtig, dass man es jetzt sofort sagen müsse. Er bitte das Publikum jedoch herzlich, vorher kurz nachzudenken, ob es nicht doch etwas warten könne. Lachen schwappt durch den Saal. Orozco-Estrada erklärt weiter. Wann man klatschen solle, wann eher nicht, wer jetzt gleich auf die Bühne kommt und worum es in den Stücken geht. Sobald das Orchester einsetzt, versuchen alle, seinen Anweisungen zu folgen. Hilary Hahn, Star-Violinistin aus den USA. Dann ein Stück aus Tschechien. Kurz vor 23 Uhr werden die Ersten ungeduldig. So lustig der Dirigent ist, eigentlich sind sie wegen jemand anderem da.

Wegen Mathew Jonson, einem der bekanntesten Produzenten elektronischer Musik. Wann immer sein Name fällt, geht ein Raunen durch den Saal. Seine Performances sind bildgewaltige Shows. An diesem Abend wird Jonson von einigen Musikern des Orchesters begleitet - obwohl es für die wirklich "sehr, sehr spät am Abend" sei, wie Orozco-Estrada betont. Irgendwann haben auch die Altersunterschiede ihren Witz verloren. Jonson legt auf, Kirchenatmosphäre, hundert Handys filmen das Geschehen. Auf der Tanzfläche später dann Junge, Alte, und alles dazwischen. Auch Hilary Hahn hat sich in einen Partydress geworfen und tanzt zu elektronischen Klängen und psychedelischen Bildwelten. Als gegen drei Uhr nachts das Licht ausgeht, deutet nichts mehr auf ein Karriere-Dinner hin.

© SZ vom 21.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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