Schauplatz Zürich:Die zehn Prozent, die keiner versteht

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Sie sprechen Deutsch. Sie haben gute Jobs. Vielleicht reden sie etwas lauter - aber kann es allein daran liegen, dass die Deutschen in der Schweiz nicht wirklich ankommen? Ein Glühwein-Abend unter Expats aus Deutschland.

Von Charlotte Theile

Glühwein. Es beginnt damit, dass man Nelken im Mund hat, dann ist alles zuckrig und klebrig, man wünscht sich dringend, etwas Richtiges zu trinken, aber da ist nur dieser lauwarme Becher, der sich von selbst zu füllen scheint. Man trinkt weiter, kalte Füße, leichtes Kratzen im Hals, Ohrensausen. Die Aussicht ist schön. Da unten glitzern Hotels, die Universität, der Zürichsee. Die Menschen um einen herum? Man könnte Expat Community sagen oder Rooftop Party, was aber nicht ganz passend wäre, denn Englisch hört man nur ganz selten. "Hannover" sagt einer auf die Frage, wo er herkommt, ein anderer "Hamburg", ein dritter schwärmt vom Fischen in der bayrischen Provinz. Das hier ist Expat-Deutschland, es geht also schon bald um Zahlen. Prozentsatz der Deutschen in Zürich? "Zehn Prozent", weiß einer, bei einem Ausländeranteil von dreißig Prozent, also "ganz schön viele", allgemeines Nicken. Echt ganz schön viele Deutsche. Ganz kurz streift einer die Gehaltsfrage, aber dafür ist es noch zu früh, dann geht es länger um Versicherungen, ein sterbendes Geschäftsmodell. Wenn es die Garantie bei Lebensversicherungen nicht mehr gibt, wolle keiner diese hohen Prämien zahlen. Logisch.

Ein sehr kleiner Joint geht herum, wir sind schließlich nicht in Bayern. Die Kinderbetreuung in der Schweiz sei fabelhaft, sehr teuer zwar, aber "wenn die Leistung stimmt, warum nicht". Im Hintergrund läuft das Waffeleisen heiß. Wer Sneaker trägt, spricht jetzt über die Vor- und Nachteile von Thermo-Einlegesohlen. Um es kurz zu machen: Die Dinger bringen nichts. Kann man im Winter im Zürichsee fischen? Nicht wirklich, leider. Noch einen Glühwein? Unbedingt.

Wie man mit den Schweizern auskomme? Tja, ja. Er merke immer wieder, dass er Ausländer sei, sagt Felix aus Hannover, neulich habe ihn einer mit dem Auto angefahren und dann noch beschimpft. Es gibt wohl keine Frage, die so bewegt wie diese. Wie kann das sein, dass man jahrelang in einem Land lebt, in dem man ja keine Verständigungsprobleme haben dürfte - und trotzdem kommt man nicht so richtig an? Alle Studien sagen das Gleiche: Schweizer machen es Ausländern nicht eben leicht, bleiben gern unter sich und empfinden schon kleinste Unterschiede beim Bestellen eines Biers als äußerst störend.

Noch ein großer Schluck Nelken, mit Zimt und Zucker. Auch wer warme Stiefel trägt, spürt seine Füße nicht mehr.

Die Deutschen-Debatte ist mittlerweile zehn Jahre alt, viele Auswanderer sind längst zurückgekehrt, genervt von den Zugehörigkeitsdiskussionen, die die Schweiz beschäftigen wie kaum ein anderes Land. Im Vergleich zu Albanern, Eritreern, Syrern haben es die Deutschen dabei noch gut getroffen. Wenn sie etwas leiser sprechen würden, wäre alles wunderbar, finden die Schweizer. Und die Deutschen? Einigen sich an diesem Abend darauf, dass im Großen und Ganzen alles ganz in Ordnung sei. Oder wie man in Hannover sagt: "Passt schon."

© SZ vom 22.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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