Schauplatz Tokio:Romantische Pornographie

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"Nikkatsu", Japans ältestes Filmstudio, begeht derzeit "45 Jahre Roman-Porno", wie das Soft-Porno-Genre auch genannt wird - "roman" steht für "romantisch" -, und bat dafür fünf namhafte Regisseure je einen "Pink-Porno" zu drehen.

Von Christoph Neidhart

Was wäre der Kulturbetrieb ohne Jubiläen? Bietet sich keine runde Jahreszahl an, konstruiert man eben eine. "Nikkatsu", Japans ältestes Filmstudio, begeht derzeit "45 Jahre Roman-Porno" - "roman" steht für "romantisch" - und bat dafür fünf namhafte Regisseure, die keine einschlägige Erfahrung hatten, je einen "Pink-Porno" zu drehen. Akihiko Shiotas "Wet Woman in the Wind" erntete beim Festival von Locarno viel Lob und Lacher, der Film kommt im Winter in Japan in die Kinos und wird auch international verliehen. Der Reiz des Projekts habe für ihn darin bestanden, innerhalb eines strikten Rahmens kreativ zu sein, sagt Shiota. "Ein Regisseur ist nie frei, er bekommt nicht die Schauspieler, die er will, das Skript ändert sich, er muss im Sommer drehen, obwohl der Film im Winter spielt." Und bei Pink-Filmen sei dieser Rahmen besonders eng: Das Budget ist minimal, der Film darf nur 70 Minuten dauern, er muss in sieben Tagen abgedreht werden, soll eine Geschichte erzählen und alle zehn Minuten eine Sexszene enthalten, die jedoch nur so explizit sein darf, dass normale Kinos den Film zeigen können. "In diesen Beschränkungen zeigen sich die wahren Fähigkeiten", so Shiota.

Erotikfilme waren in Japan nie tabu, viele Darstellerinnen gelangten damit zu nationaler Prominenz. Auch "ernsthafte" Regisseure schreckten nicht vor dem Genre zurück. Weit über die Grenzen Japans hinaus bekannt wurde etwa Nagisa Ōshimas "Im Reich der Sinne".

Nikkatsu begann 1971 mit Pink-Filmen. Nachdem wegen des Erfolgs des Fernsehens die Kino-Einnahmen eingebrochen waren, stand das Studio vor der Wahl: Pleite oder Porno. Zahlreiche Regisseure und Mitarbeiter hätten Nikkatsu deshalb verlassen, so Präsident Naoki Satō: "Aber das Genre brachte auch viele Talente hervor." Dennoch war 1988 Schluss mit Pink. Die Heimvideogeräte lieferten Hardcore ins Haus. Heute bedient das Internet jede denkbare Vorliebe per Mausklick. Gleichwohl wagte Nikkatsu zum 100. Firmenjubiläum 2012 eine "Roman-Porno"-Retrospektive. Und war erstaunt, wie viele junge Leute kamen, 60 Prozent von ihnen Frauen.

© SZ vom 07.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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