Schauplatz Tokio:Junges Kino

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Die japanische Filmindustrie gehört zu den größten der Welt, international hat aber kaum eine Produktion Erfolg. Dabei gäbe es auch ästhetisch viel zu entdecken.

Von Christoph Neidhart

Montagvormittag im Kino, der Saal in Shinjuku ist fast voll. Auf der Leinwand kreischen und quietschen Oberschülerinnen und -schüler in roten Uniformen. Das Publikum ist genauso alt, es zieht sich eine Karikatur seiner selbst rein. In "Kakegurui" - wörtlich: spielsüchtig - wechselt die Teenagerin Yumeko in eine Eliteschule für die Kinder der Superreichen. Sie lernt, dass die Hierarchie unter einer strengen Oberfläche nicht aufgrund schulischer oder sportlicher Leistungen entsteht, sondern vom Erfolg in Geldspielen abhängt. Die Schüler verwetten Millionen. Wer verliert und Schulden macht, wird versklavt. Die Präsidentin des Studentenrats sieht in der Neuen Freiwild, sie will sie ausnehmen, Yumeko entpuppt sich aber als Wett-Genie.

Japans Filmindustrie gehört zu den größten der Welt, 2018 produzierte sie 613 Filme, nur die USA, China, Nigeria und Indien produzieren noch mehr. Dennoch gelangen wenige japanische Filme in den internationalen Verleih. Filmautoren wie Hirokazu Koreeda ("Shoplifters - Familienbande") oder der Trickfilmer Hayao Miyazaki sind seltene Ausnahmen.

Die Kinobesucher in Japan scheinen nie genug zu bekommen von einsamen Männern, die ihr Leben mit einer Katze teilen. Und von jungen Mädchen an der Schwelle zum Erwachsensein. Jenseits solcher Standardthemen - plus Horror - werden vor allem Geschichten verfilmt, die bereits als Manga zu Bestsellern wurden. So verringern die Studios ihr Risiko. "Kakegurui" gab es zuerst als Mangaserie - neu auch in deutscher Übersetzung -, dann als Anime-Serie fürs Fernsehen (und auf Netflix), später als TV-Dramaserie. Nun hat der Regisseur Tsutomu Hanabusa die Zitrone mit dem Spielfilm "Kakegurui" - mit den gleichen Schauspielern wie im TV-Drama - ein weiteres Mal ausgepresst. Allerdings überzeichnet er die Figuren, anders die Anime-Version, zu hysterischen Monstern.

Der Film durchbricht die meist realistische Bildsprache von Low-Budget-Filmen. Wie es das Zielpublikum von seinen Bildschirmen gewohnt ist, legt sich plötzlich Text oder eine Skizze über das laufende Bild. Oder die Punktzahlen der Zocker wie bei Sportübertragungen. Die Geldspiele werden auf dem Campus online verfolgt. Die Figuren wenden sich auch an die Kamera. Und wie in der Anime-Fassung verändert sich im Moment großer Anspannung die Farbe ihrer Iris.

Das erinnert wieder an die 1970er-Jahre, als das Geschäft wegen des damals neuen Fernsehens lahmte und Japans Studios begannen, Softpornos zu produzieren, um sich finanziell über Wasser zu halten und dazu auch Avantgarderegisseure engagierten, die diese Gelegenheit nutzten, um mit neuer Bildsprache zu experimentierten.

© SZ vom 15.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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