Schauplatz Madrid:Kulturkampf der Statistiker

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Große Überraschung: Nicht Madrid führt bei den Ausgaben pro Kopf für Kultur, sondern die raue Region Navarra.

Von Thomas Urban

Eigentlich waren sich die Madrider Kulturpolitiker sicher, dass die Hauptstadt im nun veröffentlichen "Jahrbuch der Kulturstatistiken" in den wichtigsten Kategorien ganz vorn liegt. Doch die Überraschung war groß: Nicht Madrid führt bei den Ausgaben pro Kopf für Kultur, sondern die raue Region Navarra im Norden des Landes. 348,70 Euro hat im Durchschnitt jeder Navarrese im vergangenen Jahr für Kultur ausgegeben, 27,50 Euro mehr als die Madrilenen. Dabei hat Navarra nur eine Großstadt, Pamplona, mit gerade einmal 200 000 Einwohnern und überschaubarem Kulturangebot. Allerdings sind die privaten Ausgaben für Kultur zum zweiten Mal in Folge zurückgegangen, nun um runde fünf Prozent, im Vorjahr waren es sogar sechs Prozent. Kommentatoren sehen darin die Furcht vor der Rückkehr der großen Krise, die vor zwölf Jahren über Spanien mit dem Platzen einer gewaltigen Immobilienblase hereingebrochen war. Staat, Regionen und Kommunen waren völlig überschuldet, als erstes wurde der Rotstift bei Kultur angesetzt, auch in den Privathaushalten. In der Folge mussten Theater, Kinos, Buchverlage, die Musikbranche kräftige Einbrüche verkraften. Nachdem aber das rigorose Sparprogramm nach dem Absturz wieder zu Wirtschaftswachstum geführt hatte, hellte sich die Konsumstimmung deutlich auf; es wurde auch mehr Geld für Kultur ausgegeben. Doch nun dreht sich die Stimmung offenbar wieder.

Die Statistiker können immerhin mit ein paar positiven Zahlen aufwarten: Zwei Drittel von 16 000 repräsentativ ausgewählten Spaniern aller Bevölkerungsgruppen haben im vergangenen Jahr mindestens ein Buch gelesen, zumindest nach eigenen Angaben, 58 Prozent das Kino, 30 Prozent ein Konzert besucht und knapp ein Viertel ein Theaterstück gesehen - in allen vier Kategorien ein Plus von mehr als drei Prozent. Immerhin liegen beim Besuch der Kulturstätten die Madrilenen eindeutig vorn. Die rechte Presse meint, dies sei ein Verdienst der bis zum Frühjahr 2018 amtierenden konservativen Zentralregierung, die für den Aufschwung gesorgt hat. Die linken Medien halten dagegen, es sei ein Erfolg der bis zum Frühjahr 2019 amtierenden linken Stadtregierung, die viel Geld für die Förderung der alternativen Kultur ausgegeben hat. Wahrscheinlich aber war es so, dass die Kino-, Theater- und Konzertbesucher mal für einen Abend all die politischen Kalamitäten und Politiker vergessen wollten.

© SZ vom 11.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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