Schauplatz London:Kultur im Exodus

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Die Open School East im Londoner Stadtteil Hackney hat tolle Künstler hervorgebracht. Und, was ganz selten ist: Sie hat von ihren Studenten keine Gebühren verlangt. Nun muss sie weg... London ist für freischaffende Künstler unbezahlbar geworden.

Von Alexander Menden

Londoner Kunstschulen, die keine Studiengebühren erheben, sind nur unwesentlich zahlreicher als Schneeflocken in der Sahara. Die Open School East (OSE) im Stadtteil Hackney ist seit drei Jahren eine solche Insel der Seligen. Seit 2013 bietet die OSE im Rose Lipman Building, einem Ost-Londoner Gemeindezentrum, gratis Ateliers und Kurse an. Bewerben kann sich jeder, mit oder ohne vorhergehende Qualifikation. Die Gründung durch das Barbican und die Initiative "Create London" war eine direkte Reaktion auf die völlig aus dem Ruder laufenden Gebühren, Mieten und Lebenshaltungskosten in der britischen Hauptstadt.

Erklärtes Ziel der Schule ist es bis heute, "experimentelles, vielseitiges und gemeinschaftliches" Arbeiten zu ermöglichen. Etablierte Künstler wie Turner-Preisträger Jeremy Deller oder Matthew Darbyshire gehören zu den Lehrern. Als Gegenleistung für die kostenfreie Ausbildung engagieren sich die Studenten kreativ in kommunalen Projekten - gut 40 Künstler haben diese Ausbildung bisher durchlaufen, im Herzen Londons, das trotz einer zunehmend isolationistischen Gesamtstimmung in England noch immer einer der aufregendsten Kulturorte der Welt ist.

Doch jetzt kann die OSE, die auf Spenden und Subventionen durch das Arts Council angewiesen ist, selbst die Miete nicht mehr bezahlen: Anfang 2017 wird die Schule ins 120 Kilometer entfernte Margate an der englischen Ostküste umziehen. "London ist für freischaffende Künstler einfach unbezahlbar geworden", sagt OSE-Mitgründerin Anna Colin. "Manche haben drei Jobs gleichzeitig, um sich über Wasser zu halten. Und wir können es uns auch nicht mehr leisten, hierzubleiben. Es ist sehr traurig, so viele Menschen in diesem Stadtviertel zurücklassen zu müssen. Aber wir müssen an einen Ort umziehen, der weniger feindselig ist."

Im Küstenstädtchen Margate, das vor allem für seine Turner Contemporary Gallery bekannt ist, wird die OSE unter dem Dach der Künstlervereinigung Resort Studios weiterbestehen. Geplant ist zudem, im Jahr 2018 in North Woolwich eine neue Londoner Niederlassung zu gründen, wofür allerdings erst noch die Mittel beschafft werden müssen. Der Umzug ist ein weiteres Beispiel für den stetig anschwellenden Exodus der Kreativen aus der Stadt. Eine kulturelle Infrastruktur, die über Jahrzehnte aufgebaut wurde und eine künstlerische Erfolgsgeschichte nach der anderen hervorbrachte, droht binnen Kurzem zu verschwinden.

© SZ vom 30.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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