Schauplatz London:Britischer geht´s nicht

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Großbritanniens Science-Fiction-Freunde freuen sich auf Weihnachten. Endlich wird ein neuer Doctor-Who-Film ausgestrahlt. Er spiegelt den Brexit-Alltag. Und er drückt gehörig auf die nationale Tränendrüse.

Von Alexander Menden

Das Tiefparterre des Science Museum ist in Trockeneisnebel und Kunstschnee gehüllt. Menschen mit Fliegen, langen Schals und bunten Westen naschen Miniwürstchen und machen Selfies vor zwei Nachbauten einer altmodischen Polizeirufzelle. Diese blauen Boxen nennt man Tardis, sie sind auch als Raumschiffe verwendbar und dienen dem längstgedienten britischen Science-Fiction-Helden als Fortbewegungsmittel durch Zeit und Raum. Das weiß hier jeder, denn die BBC hat nur eingeweihte Auserwählte (und ein paar Journalisten) zu einer Vorab-Vorführung des "Doctor Who Weihnachts-Special" "Twice upon a Time" ins Londoner Wissenschaftsmuseum an der Exhibition Road geladen.

Es gibt nichts Britischeres als Doctor Who. Die Serie existiert schon eine gefühlte Ewigkeit (Tradition), feiert das Seltsame und Abseitige (Exzentrik) und war immer eine Bastion des weißen Gentleman-Klischees. Der Doktor, ein sogenannter "Time Lord", ist nominell ein humanoides Alien. Jede seiner bisher zwölf Inkarnationen war allerdings eine Abwandlung des männlichen Mittel- oder Oberschicht-Briten.

Doctor Who verabschiedet sich als Mann - seine nächste Inkarnation wird weiblich sein

Begleitet von wechselnden weiblichen Mitstreitern, kämpft er gegen andere Aliens, seine Hauptgegner sind die Cybermen und die Daleks. Der Time Lord kann sich nach seinem Tod regenerieren und in einer neuen physischen Gestalt weiterleben, und die nächste Version wird eine Frau sein, gespielt von der 35-jährigen Jodie Whittaker. Eine Gender-Revolution, die zu heftigen Kontroversen in der Fangemeinde geführt hat. Doch bevor der große Schritt vollzogen wird, darf sich Peter Capaldi, der zwölfte Doktor, spektakulär im Weihnachts-Special verabschieden.

Die BBC ist streng, wenn es darum geht, vor dem britischen Sendetermin am ersten Weihnachtstag zu viel über den Inhalt zu verraten - weitaus strenger als beim Überprüfen des Wahrheitsgehalts ihrer EU-Berichterstattung. Aber es ist mitzuteilen gestattet, dass der zwölfte Doktor in einer Zeitblase den ersten Doktor trifft, der sich als extrem politisch inkorrekter, autoritärer Knochen erweist. Der zwölfte Doktor ist permanent peinlich berührt von der Selbstverständlichkeit, mit der sein früheres Selbst Frauen zum Putzen anhält oder droht, ihnen "den Hintern zu versohlen". Der Kampf zwischen Aufklärung und Reaktion spiegelt lustig den Brexit-Alltag.

Was die Vorführung des Films im Kino des Science-Museums aber zu einem besonders passenden Abschluss für 2017 macht, ist der pathetische Tonfall dieser Abschiedsfolge. Jeder, der sich trotz der irrationalen politischen Grabenkämpfe des Jahres null nach dem EU-Referendum noch immer der Illusion hingibt, die Briten seien rationale, bodenständige Pragmatiker, sollte sich bei Gelegenheit "Twice upon a Time" ansehen. So viel Tränendrüse, so viel selektive Geschichtswahrnehmung wird man jenseits von Christopher Nolans "Dunkirk" so bald nicht wieder geboten bekommen. Wenigstens mündet das Ganze, getreu dem menschenfreundlichen Geist des Doctor-Who-Universums, in einer großen Versöhnung. Da endet dann auch die Anwendbarkeit auf die Realität, denn ein versöhnliches Ende ist beim Brexit auszuschließen.

© SZ vom 20.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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