Schauplatz London:Bilderstürmer von einst und heute

Lesezeit: 2 min

Das British Museum zeigt jetzt eine Marienstatue aus Alabaster, die zu den wenigen gehört, welche die englische Reformation heil überstanden.

Von Alexander Menden

Angesichts des menschlichen Leidens, das der Krieg über die Bevölkerung von Syrien und dem Irak gebracht hat, spielt die Zerstörung der dortigen Kulturschätze zu Recht eine nachgeordnete Rolle. Dennoch sind natürlich auch die ikonoklastischen Orgien, in denen sich vor allem der sogenannte Islamische Staat ergeht, Ausdruck des vollkommenen gesellschaftlichen Zusammenbruchs. Allzu oft mischt sich in unser Entsetzen über solchen Frevel eine unberechtigte, gefährliche Selbstzufriedenheit. Wer glaubt, die Kunstwerke, die in westlichen Museen und Sammlungen aufbewahrt werden, seien gleichsam von einem undurchdringlichen zivilisatorischen Kokon umhüllt, beweist vor allem Geschichtsvergessenheit.

Es war deshalb gut, dieser Tage daran erinnert zu werden, wie lange uns Europäer schon der Furor religiös motivierter Bilderstürme begleitet. Seit dem vergangenen Sonntag ist in der Dauerausstellung des British Museum eine Marienstatue aus Alabaster zu sehen, die zu den wenigen gehört, welche die englische Reformation heil überstanden. Die 75 Zentimeter hohe Skulptur entstand wahrscheinlich Mitte des 14. Jahrhunderts in den englischen Midlands. Ein besonders berührendes Detail ist die vertrauensvolle Geste, mit der das Christuskind auf ihrem Arm die Hand nach der Mutter ausstreckt. Es ist ein wunderbares Kunstwerk, dem noch ein Teil der ursprünglichen Vergoldung anhaftet, und das dem Vergleich mit zu gleichen Zeit entstandenen kontinentaleuropäischen Werken ohne Weiteres standhält.

Einhergehend mit der Gründung der Church of England wurden im 16. Jahrhundert unzählige Kunstschätze dieser Art vernichtet. Besonders nachdem der pubertierende König Edward VI. 1547 verfügt hatte, sämtliche "Monumente vorgetäuschter Wunder, Wallfahrten und Götzendienerei" zu vernichten, begann eine rabiate kulturelle Säuberung.

Die Marienstatue überlebte nur, weil ein wohlhabender Ausländer sie gekauft und außer Landes gebracht hatte. Lange stand sie im Kloster des belgischen Sint-Truiden; nun hat sie, nach mehreren Stationen in europäischen Privatsammlungen, nach England zurückgefunden. Sie ist im selben Raum wie der sogenannte South Cerney Head zu sehen. Dieser hölzerne Christuskopf aus dem 12. Jahrhundert wurde eingemauert in einer Kirchenwand in Gloucestershire entdeckt. Dort hatte jemand das Kruzifix, zu dem er gehörte, während der Reformation versteckt; der Rest des Kreuzes war bei seiner Entdeckung 1915 bereits zerfallen.

Vielleicht ginge man zu weit, gäbe man in Brexit-Zeiten der Versuchung nach, die Geschichte der Alabaster-Madonna als Warnung vor dem destruktiven Potenzial englischer Sonderwege zu lesen. In jedem Fall ist sie eine beredte Mahnung, nie zu sicher zu sein, dass jahrhundertealte Kunstschätze, die es bis in unsere Tage geschafft haben, uns für immer erhalten bleiben werden.

© SZ vom 14.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: