Schauplatz Berlin:Wo die Bären frösteln

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Ausgerechnet auf einem Platz, der es ohnehin nicht leicht hat mit sich selbst, geben seit geraumer Zeit die "United Buddy Bears" ihr ultimatives Gastspiel: mehr als 140 Bären, bunt angemalt mit Motiven aus mehr als 140 Ländern, deren Bewohner sie repräsentieren.

Von Lothar Müller

Es gibt viele Schmuckplätze in Berlin, aus der Zeit der Stadtentwicklung im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Straßen führen auf sie zu und von ihnen fort, oft gehört ein U-Bahn-Eingang dazu und ein Brunnen wie im Bayerischen Viertel in Schöneberg. Am Walter-Benjamin-Platz in Charlottenburg ist das anders. Auch hier gibt es einen Brunnen, ein Wasserareal, über dem im Sommer computergestützte Fontänen ihre Bögen schlagen. Aber der einzige Baum, der hier unweit eines Kiosks steht, wirkt, als habe er sich aus einer Beckett-Inszenierung hierher verirrt. Die Leibnizstraße und die Wielandstraße, zwischen denen er liegt, begrenzen den Platz, führen eher an ihm vorbei als auf ihn zu. In den Erinnerungen, die ihn manchmal heimsuchen, ist er ein namenloser, unansehnlicher Parkplatz.

Um seiner Unansehnlichkeit für immer zu entkommen, ist er um die Jahrtausendwende in die Arme der Eleganz geflohen, die ihm das Architekturbüro Hans Kollhoff angeboten hat. Nun säumen ihn achtgeschossige Bauten, die über Säulengängen aufragen, Art-déco-Lampen schimmern durch die Kolonnaden. Aber manchmal träumt der Geist des Autors, nach dem er benannt ist, vom Alten Westen am Tiergarten, in dem er aufwuchs und der Klassizismus weniger streng war. Und das Piazza-Ideal, das in diesem Platz steckt, träumt dann und wann von Italien und wird von einem leichten Fremdeln und Frösteln angeweht, das es aber tapfer verbirgt.

Zu oft ist das moralisch Begrüßenswerte im Bunde mit dem verlässlich Hässlichen

Ausgerechnet an diesem Platz, der es ohnehin nicht leicht hat mit sich selbst, geben seit geraumer Zeit die "United Buddy Bears" ihr ultimatives Gastspiel. Das sind mehr als 140 Bären, einander in der Form so ähnlich wie die Kolonnaden, vor denen sie aufgereiht sind, aber bunt angemalt mit Motiven aus den mehr als 140 Ländern, deren Bewohner sie repräsentieren. Der grüne Bär aus den Vereinigten Staaten macht ein wenig auf Freiheitsstatue, der Bär aus Kuba raucht eine Zigarre, friedlich steht der Bär aus Nordkorea neben dem aus Südkorea. Die bunten, alphabetisch angeordneten Bären waren schon auf der ganzen Welt unterwegs, nicht von ungefähr erinnert ihr Name an die United Nations, und die Botschaft, mit der manche von ihnen beschriftet sind, ist die der Toleranz, des Respekts, des "Hand in Hand".

Wie eingefroren recken die plumpen Gestalten ihre abgeflachten Vordertatzen in den Himmel und geben das Rätsel auf, warum das moralisch Begrüßenswerte so häufig mit dem ästhetisch Niederschmetternden im Bunde ist. "Oh, Hässliches, oh Hässliches, du hast so was Verlässliches", reimte einst der Dichter Robert Gernhardt. Von gnadenloser Verlässlichkeit sind die unzähligen, meist firmengesponserten Bären, die sich seit einigen Jahren im Berliner Stadtraum ausbreiten. Gleich um die Ecke, am Kurfürstendamm, bewacht ein Bär vom Typ "auf allen vieren" den Eingang zu einer Bankfiliale. Mag sein, dass die Vollversammlung der "United Buddy Bears" den Weltfrieden näherbringt. Aber wenn sie Anfang Januar endet, wird sie in die Albträume des Walter-Benjamin-Platzes eingehen.

© SZ vom 29.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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