Schauplatz Berlin:Kleine Berge, große Namen

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Seilbahnen sind nicht Berlin-typisch. Denn es fehlt ja an Höhen und Abgründen. Nun aber schwebt über das Gelände der Gartenausstellung in Marzahn hinweg ein Seilbahn. Man steigt aus und ist in Kalifornien.

Von Lothar Müller

Eher selten kann man in Berlin den sanften Schwung erleben, mit dem die Gondel einer Seilbahn in die Bodenstation einläuft. Auch mangelt es an Abgründen, über die sie hinweggleiten könnte. Anhöhen müssen hier nicht hoch aufragen, um Berg heißen zu dürfen. Der Kienberg im Ortsteil Marzahn hieß schon so, als er noch 58,3 m hoch war. Vor einem halben Jahrhundert begann er zu wachsen, erstmals seit der Eiszeit. Trümmer- und Bauschutt, vor allem der Bodenaushub für die nahen Plattenbausiedlungen fügten ihm Meter und Meter hinzu, bis schließlich die Marke von 102,2 m erreicht war.

Ein Südtiroler Investor hat die Seilbahn gebaut, die nun über den Kienberg und die Internationale Gartenausstellung in Marzahn hinwegführt. Und er hat dieser ersten Nachfolgerin der horizontalen Seilbahn, die während der Internationalen Bauausstellung 1957 über die Neubauten des Hansaviertels am Tiergarten zur Kongresshalle gondelte, einen leisen Hauch von Vertikale beigemischt. Von der Talstation am Haupteingang geht es in 25-30 Meter Höhe zur Bergstation nahe der neugebauten, weißglänzenden Aussichtsplattform, von wo aus man in sehr weiter Ferne den Fernsehturm am Alexanderplatz sehen kann und ringsum auf sehr viel Grün und sehr viele Plattenbausiedlungen herabblickt. Die Aussichtsplattform auf dem Kienberg heißt "Wolkenhain" und ist ein schönes Beispiel für die Berliner Tradition, kleine Berge in große Namen zu hüllen. Vielleicht ist sie zudem ein Gruß aus dem Berliner Osten hinüber in den tiefen Westen, in den Grunewald, an den aus Trümmern aufgeschütteten "Teufelsberg", der freilich mit seinen 120,1 m über dem Meeresspiegel den Wolken noch ein wenig näher ist.

Das leicht surreale Element, das eine Seilbahn in Berlin ohnehin mit sich führt, blüht durch den Zwischenstopp im Wolkenhain auf und durch den Blick hinab auf den großen Holzwal auf dem Kinderspielplatz. Und es entfaltet sich vollends, wenn die Gondel in die Endstation eingelaufen ist. Denn kaum hat man sie verlassen, findet man sich auf einem Parkplatz in Los Angeles wieder. Drei Automobile mit Kennzeichen aus Kalifornien stehen in den weiß markierten Parkzonen, Bänke am Rand einer umzäunten Rasenfläche laden zum verweilen ein, Plastikpalmen ragen in den Himmel über Berlin. Mag sein, das ist eine Kunstinstallation. Es ist vor allem die ideale Talstation der Südtiroler Seilbahn in Berlin.

© SZ vom 19.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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