Schauplatz Berlin:Ich hab bezahlt

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Eine Kunstinstallation von Robert Schmitt feiert im neuen Kunstraum "Grzegorzki Shows" im Wedding das Zeitungslesen - und das Bezahlen für gedrucktes Papier - als unzeitgemäßen Akt, der stolz macht. Im Internet soll es große Aufregung gegeben haben.

Von Peter Richter

Der Künstler Gregor Hildebrandt lehrt neuerdings als Professor in München, lebt in Berlin-Mitte und arbeitet noch ein bisschen weiter nördlich, nämlich im Wedding. Bei diesem Berliner Bezirk darf jeder an etwas anderes denken, Historiker an Straßenschlachten zwischen Kommunisten und Nazis, Stadtsoziologen an die starke Prägung durch türkische Familien, amerikanische Touristen ans Heiraten (rein des Namens wegen) und Kunstsammler daran, dass nicht nur Hildebrandt hier sein Atelier gefunden hat.

Woran man beim Wedding nicht oder jedenfalls nicht als Allererstes denken würde, sind Zeitungen. In Charlottenburg oder Mitte weiß man manchmal nicht, ob man in einem Café ist oder in einem Zeitungskiosk, weil es im Kiosk meistens auch Kaffee gibt und in den Cafés sämtliche Zeitungen aus dem In- sowie oft sogar auch aus dem Ausland, zum Beispiel der Schweiz. Im Wedding hingegen? Vielleicht mal eine zerlesene Sabah oder eine BZ auf dem Döner-Tresen. Und jetzt: Liegen da im Pförtnerhäuschen von dem alten Fabrikbau an der Prinzenallee 78 - 79, in dem Hildebrandt sein Atelier hat, mehr Zeitungen und Zeitschriften herum, als in der ganzen langen Straße vermutlich das Jahr über verkauft werden. Die Stapel erreichen zum Teil mehrere Meter Höhe, Tageszeitungen, nach Datum sortiert abgelegt, sowie alte Ausgaben des Spiegel bilden eine Alpenlandschaft aus Papier und wirken auf den Betrachter dementsprechend erhaben, also gleichzeitig großartig und furchteinflößend, weil man, jedenfalls wenn man aus den zeitungslesenden Milieus von Charlottenburg oder Mitte kommt, natürlich sofort das Gefühl hat, das alles noch durcharbeiten zu müssen, und wie jeder Kenner weiß, werden Zeitungen durch das Liegen ja oft eher noch besser und interessanter als wenn sie ganz frisch sind, weil sie dann neben dem Nachrichtenhunger auch den Geschichtssinn ansprechen.

Früher hatte Hildebrandt in den Räumen die Videokassetten gelagert, aus deren Magnetbändern er die vielen schönen Streifenbilder gemacht hat, mit denen er bekannt geworden ist. Jetzt wollte er hier einen Kunstraum für die Ausstellungen von anderen einrichten, der Name lautet "Grzegorzki Shows", und hat als Erstes seinen Kollegen Robert Schmitt eingeladen. Dessen Zeitungsinstallation heißt nun "I paid for content and I am proud of". (Zum Teufel mit dem "it", das da eventuell fehlt oder auch nicht; es gibt noch Leute, die für Inhalte Geld ausgeben - das ist das, was zählt, wenn man selber von der Zeitung kommt.) Zur Eröffnung standen so viele Berliner Kunstbetriebsangehörige in der großen Toreinfahrt, dass die Friseure und die Dönermänner links und rechts davon mit ihren jeweiligen Schergeräten vor Irritation gleich noch ein bisschen zackiger zu Werke gingen, die Kunstbetriebsangehörigen schauten kurz in die Ausstellung und fanden oft, dass es darin gar nicht so viel anders aussah als in ihren eigenen vollgestapelten Wohnungen. Später tauchte auch Rafael Horzon auf, der in Berlin mit seinen "Möbel Horzon"-Regalen Ikea aus dem Feld geschlagen und vor einigen Jahren mit "Das weiße Buch" eine literarische Sensation geschaffen hat, das beste Sachbuch zur Kreativökonomie im Nachwende-Berlin. Horzon war von Hildebrandt um einen Pressetext gebeten worden und hatte stattdessen ein kleines, gut gelauntes Dramolett über das Scheitern an einem Pressetext abgeliefert. Der wurde rumgeschickt zusammen mit einer E-Mail Hildebrandts, wonach er die Spesen, die Horzon bei der Erarbeitung seines Textes durch Reisen nach Paris sowie ausufernde Geschäftsessen im berühmten Grill Royal angehäuft habe, nicht zu zahlen bereit sei, jedenfalls nicht in der vollen Höhe von 18 000 Euro. "Ich hoffe du verstehst, dass wir allenfalls die Hälfte dieser Kosten übernehmen können. Ich habe den Betrag von 9000 Euro soeben per Expressüberweisung angewiesen."

Bei der Eröffnung erzählt jemand, dass es umgehend große Aufregung gab im sogenannten Internet, wo vieles, also sogar so was, nun einmal sehr ernst genommen wird, zumal dann, wenn es genau dem entspricht, was man im Rest der Republik so über das Gebaren von Berliner Journalisten erzählt. Außer im Wedding natürlich, wo die Einwohner cool sind und Besseres zu tun haben.

© SZ vom 08.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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