Schauplatz Berlin:Fred vom Jupiter zu Gast im Berghain

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Auch in der Hauptstadt brennen Flüchtlingsheime. Wie passt es da, eine Veranstaltung mit dem NDW-Star Andreas Dorau zu besuchen und über die Kulturszene nachzudenken?

Von Jan Kedves

Lustige Lieder zu traurigen Umständen, damit kennt Andreas Dorau sich aus. Als tragikomischster aller früheren Neue-Deutsche-Welle-Stars (NDW) sang er die Zeile "Am Steuer seines Lebens lenkt man doch meist vergebens", 1997 im Disco-Schlager "So ist das nun mal". Über die bösen kalten Menschen sang er im Song "Die Menschen sind kalt", ein Jahr später. Dieser Dorau steht nun zusammen mit Sven Regener, dem jovial brummenden Element-of-Crime-Sänger, im Berliner Club Berghain.

Es ist Mittwoch, später Nachmittag, der Auftritt gehört zur Eröffnung von "Pop-Kultur", einem neuen Musikfestival, das die alte Popkomm-Messe ersetzen soll. Im Vorfeld war viel darüber debattiert worden, ob dieses staatlich geförderte Festival nicht mit jener freien Berliner Szene in Konkurrenz trete, die eigentlich Förderung brauche, und ob man sich damit nicht auch vor den Karren des Stadtmarketings spannen lasse. Die Diskussion erscheint dann irgendwie ziemlich berlinerisch, eher nebensächlich - jetzt jedenfalls, wo in der Stadt Kinder in der S-Bahn von Nazis bepinkelt werden und in Marzahn brennende Holzlatten in ein Flüchtlingsdorf fliegen.

Lässt sich das so vermischen, der Pop und der Mob, Dorau und die Brandstifter? Das Publikum im Berghain jedenfalls, es sind Hunderte, scheint einfach mal eine halbe Stunde lang abschalten und lachen zu wollen. Vielleicht will man auch den Ruf des weltoffenen, inklusiven Berlin hochhalten, der sich nun mal an diesen Ort, das Berghain, knüpft?

Die Leute lachen sogar, als Regener darauf hinweist, dass das Buch "Ärger mit der Unsterblichkeit", das er zusammen mit Dorau geschrieben hat und aus dem sie hier lesen, draußen zu kaufen und von ihnen zu signieren sei: "Das ist kein Mitmach-Faschismus." Ha! Ha? Das Publikum, zwischen 20 und 60 Jahre alt, lacht zumindest noch lauter über die dann wirklich lustigen autobiografischen Miniaturen aus Andreas Doraus Leben als Popstar: aus dem Ruder gelaufene Musikvideo-Drehs in Los Angeles, verpulverte Budgets aus den goldenen Zeiten der Plattenindustrie, Top-Ten-Hits in Frankreich, Champagner, Bärenkostüme - kurz, das gesamte Panorama des kreativ zum Gewinn gebrachten Achtziger-Dilettantismus.

Am unterhaltsamsten: die Geschichte von "Fred vom Jupiter", dem NDW-Hit von 1981. Er entstand an der Otto-Hahn-Gesamtschule in Hamburg-Jenfeld im Rahmen einer Projektgruppe. Die Marinas, drei Mitschülerinnen des damals 16-jährigen Dorau, singen vom Außerirdischen Fred, der auf der Erde notlanden muss. Von den Frauen wird Fred willkommen geheißen, von den eifersüchtigen Männern wieder vertrieben. Ein zutiefst deprimierendes Flüchtlingsschicksal, in billiger NDW-Hüpfbeat-Tarnung. Er sei ganz enttäuscht gewesen, als er erfahren habe, dass von den Tantiemen, die im Lauf der Jahre auch an den Musiklehrer der Schule geflossen seien, nicht längst eine "Fred-vom-Jupiter-Sporthalle" gebaut worden sei, so Dorau.

Man läuft am Ende dann also recht gelockert wieder aus der Betonhalle hinaus, zurück in die Sonne, und liest dann auf dem Handyscreen, dass in Berlin-Wittenau gerade eine Turnhalle brennt, direkt neben einem Flüchtlingsheim. Wer in den Himmel schaut, kann ein bisschen vom Rauch sehen. Man fühlt sich sofort sehr schlecht, denkt dann aber auch: Nein, Berlin kann gerade wirklich alles, was nicht absolut niederträchtig ist, kann jeden Menschen mit Humor statt Hass sehr gut gebrauchen. Jeden Dorau, jedes bisschen Popkultur.

© SZ vom 28.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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