Schauplatz Berlin:Entwirrung am Rostkreuz

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Honecker wollte ihn noch renovieren lassen, aber daraus wurde nichts mehr: Der Wasserturm am Ostkreuz steht über der größten Baustelle der Stadt. Ein stummer Zeitzeuge der Veränderung Berlins - sie könnte auch ihn bald erfassen.

Von Lothar Müller

Schwarz steht er da, der Wasserturm am Ostkreuz. Die Dampflokomotiven, deren Tender er gefüllt hat, sind ihm abhanden gekommen. Er ist zum Zeitzeugen geworden, ein denkmalgeschützter Blickfang für Autofahrer, die unten im Stau stehen, Passagiere, die in der Ringbahnhalle auf die S 41 oder die S 42 warten. Die Deutsche Bahn hat sich von ihm getrennt, ein Investor wird irgendeinen Mix aus Gastronomie und Kultur aus ihm machen. Seit gut einem Jahrzehnt blickt er auf eine der größten Baustellen Berlins.

Er kann sich noch an das labyrinthische Treppengewirr erinnern, das die Bahnsteige der stadtauswärts und stadteinwärts fahrenden S-Bahnen auf der Ost-West-Trasse mit der Ringbahn verband. Lange sah das Ostkreuz ihm, dem schwarzen Turm, ähnlich, erinnerte an das Berlin der Vorkriegszeit und des frühen zwanzigsten Jahrhunderts. Kurz vor der 750-Jahr-Feier, die 1987 im Ost- und Westteil der Stadt begangen wurde, hatte Erich Honecker eine umfassende Renovierung des Verkehrsknotenpunktes angekündigt. Aber es blieb bei der Ankündigung, und beim redlich erworbenen Spitznamen "Rostkreuz".

Seit dem vergangenen Jahr gibt es die rekonstruierte Fußgängerbrücke, von der man zu den Bahnsteigen der Ost-West-Trasse hinabsteigen kann, sie sieht ihrer Vorgängerin aus den Zwanzigerjahren ziemlich ähnlich. Aber die lichtdurchflutete Ringbahnhalle rivalisiert mit dem neuen Hauptbahnhof, mit dem Ideal der Transparenz, das sich so gern in großen Glasflächen spiegelt. Erst 2018 werden alle unteren Bahnsteige fertig sein, aber schon jetzt ist sichtbar, dass sich mit der Erneuerung des Ostkreuzes eine alte Berliner Balance verschiebt. "Ostkreuz" heißt der Knotenpunkt erst seit 1933, als Pendant zum wenige Jahre zuvor entstandenen "Westkreuz". Bis heute ist das Westkreuz vor allem Umsteigebahnhof geblieben, seine unmittelbare Umgebung sind vor allem Stadtautobahn und Gleisgelände. Das Ostkreuz aber ist mit seinem Umbau zum Regionalbahnhof geworden, von dem aus man ohne Umsteigen nach Templin, Werneuchen oder Senftenberg fahren kann, und zugleich ist im Zuge von Sanierungsprogrammen die unmittelbare Umgebung zu einem Hot Spot voller Restaurants, Bars und Clubs geworden. Im entwirrten, übersichtlich gewordenen ehemaligen Labyrinth der Treppen führen die Abgänge in Richtung Sonntagstraße nun mitten hinein in die Welt, die kürzlich der CDU-Politiker Jens Spahn zur Ordnung rief, die Welt, in der viele Kellner und noch mehr Gäste Englisch sprechen. Der schwarze Wasserturm ragt auf der gegenüberliegenden Seite auf. Er bleibt stumm. Aber gut möglich, dass er 2018, wenn der Umbau beendet ist, selber ein Hotspot ist.

© SZ vom 27.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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